In der nächsten Stadt, in der ich landete, suchte ich mir mal wieder eine Duschgelegenheit. Viel zu oft hatte ich mich in Flüssen oder Bächen gewaschen, aber das war einfach nicht das gleiche. Als ich spät am Abend an einem Fitnessstudio vorbei kam, überlegte ich deshalb nur ganz kurz, ob ich es wagen sollte, dort zu duschen.

Ach, mehr als hinauswerfen konnten sie mich ja nicht. Und ein Versuch war es allemal wert.

Als ich dann unter dem warmen Duschstrahl stand, erwachten meine Lebensgeister zu neuem Leben. Was tat das gut! Man lernte wirklich die einfachsten Dinge zu schätzen, wenn man sie entbehren musste. Das war eine der Erkenntnisse, die ich in den letzten Wochen hatte gewinnen können.

Leider wurde dieses frische Gefühl gleich am nächsten Morgen wieder zerstört, denn es regnete wie aus Kübeln und ich wurde innerhalb von ein paar Sekunden komplett nass.

Ich sprintete die Straße entlang, um mich unter das hübsche Vordach unterzustellen, dass ich schon von weitem entdeckt hatte, als ich sah, was dort für ein Geschäft war. Es war ein Waschsalon!

Noch nie war mir der Anblick von Waschmaschinen und Trocknern so schön vorgekommen wie heute! Da ich der einzige Gast im Moment war, konnte ich mich in der Toilette umziehen und meine nassen Klamotten gleich mal durchwaschen und dann trocknen.

In der Damentoilette zog ich mich um und putzte mir auch gleich die Zähne.

Na, Madeleine, du Heldin?, sprach ich in Gedanken zu mir selbst. Läuft bei dir, oder?

Als ich darauf wartete, dass meine Wäsche gewaschen wurde, setzte ich mich auf einen der Stühle und ließ die letzten Tage und Wochen in meinem Kopf Revue passieren. Ich hatte schon viel erlebt. Auch viel Schönes. Dass ich meine Familie und Freunde vermisste, war klar, aber ansonsten war diese Reise bis jetzt gut für mich gelaufen. Mein Französisch war besser denn je, und eigentlich war ich schon auch ziemlich stolz auf mich, dass ich das alles schaffte. Wer hätte das denn auch vor ein paar Monaten noch gedacht? Ich jedenfalls nicht!

Als meine Wäsche fertig war, schien auch draußen wieder die Sonne. Ich konnte also gemütlich weitergehen und mir die schöne Kleinstadt in Ruhe anschauen.

 

Als ich an einer Bibliothek vorbei kam, blieb ich stehen. Bücher!

Natürlich musste ich reingehen, Bücher hatten mich schon immer magisch angezogen. Und das hier war die Chance, auch die bei uns in Deutschanien unbekannteren, französischen Autoren kennenzulernen. Und diese Chance ließ ich mir ganz sicher nicht entgehen!

Allein dieser Geruch nach gebrauchten Büchern mochte ich sehr. Viele Hände hatten diese teils schon sehr alten Bücher in den Händen gehabt. Es waren einige Schätze hier. So entdeckte ich natürlich alle sieben Bände von dem Zauberschüler "Perry Hotter" in seiner französischen Fassung.

Irgendwann schnappte ich mir ein Buch und begann zu lesen. Es war doch immer wieder schön, in andere Welten abtauchen zu können!

Als ich das Buch wieder in das Regal stellte, kam eine freizügig gekleidete Französin auf mich zugestürmt.

"Hände weg von meinem Louis!", sagte sie und stieß mich sogar an den Oberarm. Ja, was war das denn jetzt?

"Wie bitte?", fragte ich die Frau.

"Ich habe euch gesehen!", giftete die Furie mich an. "Du wirst mir meinen Louis nicht wegnehmen!".

"Aber...", wollte ich die Sache aufklären, doch die Französin keifte weiter:

"Und er würde sich niemals für dich entscheiden! Merke dir das!". Ihre Augen funkelten mich zornig an, und sie sah aus, als würde sie mir gleich an die Gurgel springen wollen. Ein Mann trat zu uns und bat uns, leise zu sein.

"Sie müssen mich verwechseln. Ich komme aus Deutschanien und bin hier nur auf der Durchreise", verteidigte ich mich und zwang mich, leise zu sprechen.

"Das kann ja jeder behaupten!", zickte diese Frau weiter. Da holte ich den Pass aus meinem Rucksack und zeigte ihn ihr. Sie besah sich den Pass, sah mich genau an, dann wieder den Pass.

"Verzeihung", sagte sie dann nur und ging hoch erhobenen Hauptes davon.

 

Ich konnte nur den Kopf schütteln und machte, dass ich von hier rauskam.

Ein paar Tage später hatte ich es mir neben meinem Zelt und meiner Gitarre gemütlich gemacht. Inzwischen war ich wieder auf dem Rückweg, hatte vorerst die Küste verlassen, um nun auch ein wenig vom Landesinneren sehen zu können. Meine Füße hatten sich inzwischen etwas besser an die Strapazen gewohnt, zumindest hatte ich nun schon einige Zeit keine Blasen mehr gehabt. Was schon ein echter Fortschritt war.

Ich schielte zu meiner Gitarre hinüber.

 

Meine Gitarre.

 

Ich dachte daran, wie lange mich dieses Instrument schon begleitete:

Angefangen hatte alles schon im Kindesalter. Damals hatte Oma Pauline Samuel das Gitarre spielen beigebracht. Ich war da schon angetan und fasziniert gewesen und hatte angefangen, in unbeobachteten Momenten selbst darauf herumzuzupfen.

Nachdem mir dann Sam immer wieder Unterricht gegeben hatte, wurde ich immer besser und es machte mir viel Spaß. Ich spielte, wenn ich gut drauf war, oder aber, wenn es mir nicht gut ging. Damals, als es mir wegen Adam so schlecht ging, hatte ich in jeder freien Minute die Gitarre in der Hand gehabt.

Meine Familienmitglieder hatten schon immer gesagt, dass ich gut spielte - und ich hatte kein Wort geglaubt. Daher spielte ich meistens nur für mich, wenn es niemand hören konnte. Aber in diesen Momenten konnte ich mich in der Musik richtig fallen lassen.

Erst später bekam ich ein Gefühl davon, dass ich doch nicht so schlecht sein konnte. Eigentlich erst als Erwachsene.

Natürlich hatte auch hier Felix seinen Teil dazu beigetragen.

Die Musik und die Gitarre begleitete mich also schon den Großteil meines Lebens. Damals, als Felix mich gefragt hatte, was mein Hobby wäre, war mir neben den Büchern nur die Gitarre eingefallen.

 

Warum war mir nicht klar gewesen, was das bedeutete? Warum war ich so planlos gewesen, was mein Beruf anging? Es war doch klar, dass die Musik zu mir gehörte wie die Luft, die ich zum Atmen brauchte. Ich spielte so oft selbst, ich hörte Musik, wenn ich zu Hause oder unterwegs war, ich hatte es geliebt zu hören, wie Felix in der Band spielte. Und ich schleppte dieses Instrument immerhin hier mit mir herum. Nicht nur, um damit Geld zu verdienen, so viel stand fest. Sondern einfach, weil ich meine Gitarre liebte.

Ganz aufgeregt stand ich auf und griff mir das Instrument. Leise schlug ich die Saiten an, achtete auf das Gefühl, was das in mir auslöste.

 

Wie beschrieb man so etwas? Es ging mir durch und durch, es gehörte zu mir. Die Saiten, die ich an der Gitarre anschlug, klangen in meinem Herzen nach. Es berührte mich, die Musik vibrierte in mir, löste Gefühle aus. Je nach Stück glückliche oder traurige. Ich liebte es, die Gitarre in der Hand zu halten. Mit der linken Hand die Saiten zu greifen. Die drei raueren Basssaiten, die immer ein wenig breitere Kuhlen in meine Finger gruben als die drei glatten Saiten. Meine rechte Hand, die mit verschiedenen Techniken die Saiten anklingen ließ. Die Wärme und Glätte des Holzes des Gitarrenkörpers. Es war so vertraut aber immer noch wunderschön.

 

Es gab sicher einiges, ohne das ich leben könnte. Diese verdammten Stechmücken etwa, die sich hier in ganzen Schwärmen auf mich stürzten. Aber niemals wollte ich ohne Gitarre sein. War das denn so schwer zu begreifen gewesen? Da hatte ich die Lösung jahrelang vor meiner Nase gehabt und nicht bemerkt. Ich war zu beschäftigt gewesen. Wegen der Schule oder sonstigem Kram. Jetzt hier, während ich alleine war und mich mal ausnahmsweise nur um mich kümmern musste, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich würde was im Bereich Musik studieren.

 

Danke, liebe Tür in meinem HInterkopf, dass du endlich, endlich aufgesprungen bist!, frotzelte ich zu mir selbst und spielte dann noch einige meiner liebsten Stücke, die mir leichter denn je von der Hand gingen.

Natürlich wollte ich mir die neue Energie, was die Musik betraf, gleich zu Nutze machen und wieder ein wenig Geld damit verdienen. Ich hatte gerade meine Gitarre ausgepackt und die ersten Töne angeschlagen, als ich von einer jungen Frau mit langen, dunklen Haaren angesprochen wurde.

"Verzeihung!", sagte sie schnell, "Haben sie eine Genehmigung, um hier spielen zu dürfen?", fragte sie mich. Irritiert hörte ich auf. Eine Genehmigung?

"Ähm, nein", gab ich zu. "Ich wusste nicht, dass man die hier braucht".

"Doch, so ist es", antwortete die Frau.

Ich entschuldigte mich mit rotem Kopf und packte meine Gitarre in das Gig-Bag.

"Es tut mir leid", sagte die Frau dann. "Aber wir hatten hier früher sehr massiv Probleme mit Bettlern und Straßenhändlern. Deshalb wurde dafür ein Verbot erlassen. Ich bin Gala Ball und Mitglied des Stadtrates", stellte sie sich vor.

"Madeleine von Hohenstein", sagte ich. Die Frau stutzte.

"Von Hohenstein?", fragte sie nach, und ich nickte.

"Die von Hohenstein mit den Gartengeräten?". Oh, ich war erkannt worden!

"Ähm, ja", sagte ich kurz angebunden, weil ich ja noch nicht wusste, ob das jetzt gut oder nicht so gut war. Doch das Gesicht von Gala erhellte sich.

"Mein Bruder arbeitet bei ihnen! Er ist in der Technischen Abteilung und überwacht die Produktion". Nun wurde ich wieder lockerer.

"Das ist ja schön! Arbeitet er schon lange für uns?". Sie nickte.

"Er war einer der ersten, die eingestellt wurden, als hier die Fabrik eröffnet hat. Er ist sehr zufrieden dort", fügte Gala noch hinzu.

"So soll es sein", erwiderte ich. "Das freut mich zu hören".

"Kann ich ihnen irgendwie helfen?", bot sie sich dann an und ich zögerte kurz, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.

"Na ja", begann ich dann, "Ich bin gerade dabei, das Land zu Fuß für ein paar Wochen zu erkunden. Ich möchte mir das Geld, was ich zum Leben brauche, selbst verdienen. Das Gitarre spielen ist eine gute Möglichkeit, aber da das hier in der Stadt verboten ist... Sie wissen nicht zufällig etwas, das ich für ein oder zwei Tage arbeiten könnte, um mir das Geld für die Weiterreise zu verdienen?".

 

Da schmunzelte sie, telefonierte kurz und gab mir dann eine Adresse, wo ich für den Abend arbeiten könnte.

"Die Familie Racket gibt mal wieder eine ihrer berühmten Pool-Partys. Sie suchen praktisch immer Leute, die Getränke oder Häppchen servieren oder sonstiges. Wenn sie interessiert sind, gehen sie einfach zu dieser Adresse. Wie ich gehört habe, zahlen sie gut".

Das Racket-Haus. Alte Villa traf es wohl besser. Ich hatte leider keine Ahnung, was das für Leute waren, aber vom Pool und aus dem Haus drangen schon von weitem Stimmen und Musik an mein Ohr. Das mit der Party könnte also durchaus stimmen.

Ich wurde vom Hausherrn Bill Racket begrüßt, der, so wie ich auch, bereits passend in Badeklamotten steckte.

"Bonjour, Mademoiselle". Er gab mir Küsschen rechts und Küsschen links. "Gala hat schon alles erklärt, ich freue mich, sie hier im Haus begrüßen zu dürfen!".

"Ich möchte hier arbeiten...", gab ich etwas peinlich berührt zu. Nicht, dass der mich noch für einen normalen Gast hielt!

"Natürlich! Ich weiß!", sagte der Mann hoch erfreut. "Welch eine Ehre für mich! Wir benutzen ihre Produkte hier schon seit vielen Jahren, der Rasenmäher-Roboter ist Gold wert!".

"Vielen Dank", sagte ich. "Meine Schwester hat ihn erfunden". Bill machte große Augen.

"Oh, das ist einfach fabelhaft! Ich kann mein Glück gar nicht fassen, mit ihnen persönlich reden zu können". Großer Gott, ich war doch kein Star, nur weil ich die Tochter und ein Vorstandsmitglied einer Gartenfirma war. Aber etwas schmeichelte mir das ja schon, musste ich zugeben. "Kommen sie, ich zeige ihnen ihren Arbeitsplatz. Und wenn sie Fragen haben, so fragen sie bitte! Ich finde es großartig, dass sie unser schönes Frankreich anschauen. Ich hoffe, sie hatten bisher eine gute Reise?".

"Eine sehr gute, vielen Dank", sagte ich ehrlich. "Ich bin vielen netten Menschen begegnet".

"Das freut mich", sagte Bill nicht ohne Stolz in der Stimme, dann führte er mich ins Haus und zu meinem Arbeitsplatz.

Getränke mixen. Schon wieder so etwas, worin Viola eindeutig besser gewesen wäre als ich. Warum machte eigentlich nicht sie diese Reise?

 

Auch wenn ich Felix und Viola oft beim Mixen beobachtet hatte, hatte ich doch keine Ahnung, wie das richtig funktionierte. Ich hatte aber ein paar Rezepte an der Bar liegen, und Herr Racket versicherte mir, dass ich die Zutaten einfach zusammen mixen und in die Gläser füllen sollte. Na, das dürfte doch zu schaffen sein.

Na bitte. Der erste Drink meines Lebens!

 

Felix und Viola wären stolz auf mich, könnten sie mich jetzt sehen.

Als ich das Tablett mit den Drinks nach draußen an den Pool brachte, stand ich plötzlich DeAndre gegenüber.

"Was machst du denn hier?", fragten wir beide gleichzeitig und mussten lachen.

"Ladys first", sagte er und ließ mir so den Vortritt, zu sprechen.

"Ich verdiene mir heute ein bisschen Geld, in dem ich hier Getränke serviere", sagte ich und gab ihm einen Drink. "Und du?", wollte ich neugierig wissen. Da grinste er mich an.

"Sagen wir mal so: Ich weiß, wie ich kostenlos an ein gutes Essen und gute Getränke kommen kann", meinte er.

"Ja, das weiß ich doch", sagte ich und wartete auf weitere Erklärungen.

DeAndre bemerkte das, kam dann noch etwas näher zu mir und flüsterte:

"Ich bin dabei, Bill Rackets Sohn zu umgarnen". Ich sah DeAndre mit großen Augen an. Natürlich hätte ich ihn jetzt liebend gerne ausgequetscht, aber irgendwie hielt mich sein Blick davon ab. "Und mehr wirst du von mir jetzt nicht erfahren", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. "Nichts Persönliches quatschen, das ist oberstes Gebot. Das weißt du ja. Anfangs habe ich den Fehler immer wieder mal gemacht und mich mit Leuten, die ich unterwegs getroffen hatte und die wirklich nett waren, anzufreunden. Und es ist nicht witzig, das Gefühl zu haben, einen Freund zu verlieren, wenn sich Wege trennen und man eine Person nie wieder sieht".

"Ich verstehe", sagte ich ein wenig betroffen. Doch ich verstand tatsächlich, was er meinte. Und er hatte sicher recht. "Dann wünsche ich dir viel Glück mit dem Sohn des Hauses", sagte ich schließlich und zwinkerte ihm zu.

"Dankeschön", lächelte DeAndre. "Und an dich wende ich mich heute also, wenn ich durstig bin?".

"Ganz genau", gab ich lachend zurück und ging wieder an die Bar.

Die Party war erst im Morgengrauen vorbei. Ich wusste nicht genau, wie viele Leute hier gewesen waren, aber es waren mindestens fünfzig gewesen. Ich war total kaputt und verschwitzt, und als der letzte Gast gegangen war, erlaubte mir mein heutiger Arbeitgeber, dass ich mich gerne im Pool abkühlen könne. Was ich dann natürlich sofort tat. Einzig seine Frau schwamm nun mit mir in dem großen Pool herum.

 

Bill reichte mir danach ein Handtuch, mit dem ich mich trocken rubbeln konnte und überreichte mir einen Briefumschlag mit meinem Lohn.

"Es war mir eine große Ehre, sie kennengelernt zu haben, Gräfin", sagte er zu mir. Also wusste er sogar von unserem Grafentitel.

"Das kann ich genau so zurück geben", sagte ich und verabschiedete mich von dem netten Mann. Als ich außer Sichtweite war, machte ich den Briefumschlag auf und sah hinein. Und war geschockt.

 

Dort drin war so viel Geld, wie ein normaler Arbeiter in einer Woche verdiente!

Das Geld würde mir für den Rest der Reise vermutlich ausreichen, und das hieß, dass ich absolut keinen Druck mehr hatte, Geld verdienen zu müssen. Alles, was ich jetzt machen konnte, war allein, das Land und die Leute noch besser kennenzulernen.

Und ich bekam immer mehr Zuhörer, wenn ich nun spielte. War es, weil ich durch die viele Übung nun schlicht besser geworden war? Oder hatte es etwas damit zu tun, weil ich nun wusste, dass ich die Musik zu meinem Beruf machen wollte? Ich wusste es nicht. Aber letztlich war das ja auch egal. Es war schön, diese Leute überhaupt dazu zu bringen, bei mir stehen zu bleiben. Und es war absolut toll, wenn ich dann immer wieder auch Lob für meine Musik bekam.

Weil ich nun etwas Geld in der Tasche hatte, gönnte ich mir auch mal wieder eine richtige Mahlzeit in einem schönen Bistro.

Und während die Sonne so langsam versank, das französische Nachtleben hier bald starten würde, genoss ich mal wieder ein wunderbar gebratenes Stück Fleisch und köstliche Beilagen. Und wie schön wäre es, wenn ich diesen Moment nun mit meinen Lieben teilen könnte!

Weil es hier in Frankreich an manchen Tagen immer noch schön warm war, konnte ich mich auch an den Ufern der Flüsse sonnen.

Das Wasser war zwar recht frisch, aber ich hatte in den vergangenen Wochen schon ganz andere Dinge überstanden. Doch es war klar, dass das nun nicht mehr lange möglich war. Auch hier kam nun der Herbst mit großen Schritten an.

Auch wenn manche Leute immer noch in Sommerklamotten herumliefen.

An einem schon recht kühlen Abend passierte dann etwas Unglaubliches. Ein wildfremder Mann war einfach in mein Zelt geschlüpft, kaum dass ich ein paar Meter weiter an einem kleinen Bach meine Wasserflasche aufgefüllt hatte. Als ich den Kerl darauf ansprach, wurde der sogar wütend und beschimpfte mich.

Doch nicht mit mir! Ich wappnete mich innerlich schon, mich verteidigen zu müssen und geigte ihm ordentlich meine Meinung. Zu meiner Überraschung erkannte er schnell meine Entschlossenheit und ging dann tatsächlich, nicht ohne weiter zu fluchen.

 

In dieser Nacht schlief ich nicht besonders gut, denn ich war immer darauf gefasst, dass der Kerl zurückkam.

Doch Gott sei Dank war die Nacht ruhig gewesen, und ich machte mich schon früh am Morgen daran, alles zusammenzupacken und weiterzuziehen. Jetzt waren es nur noch wenige Tage, bis ich wieder in Saint-Nazaire war.

Und damit würde ich auch bald wieder alle meine Lieben sehen können! Ich konnte gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf alle freute!

Kurz vor Saint-Nazaire kam ich an zwei Wildpferden vorbei. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass es hier in der Gegend noch Wildpferde gab, aber die beiden lehrten mich eines Besseren. Völlig fasziniert knipste ich sie. Ich hatte eh schon einen völlig übervollen Handyspeicher jetzt, aber das musste nun wirklich sein. Wann sah man denn schon Wildpferde?

Mit meiner Familie war ich nun in ständigem Kontakt. Sie alle freuten sich auf meine Rückkehr.

 

Felix würde erst eine Woche nach mir in Sunset Valley anlegen, aber auch das war jetzt absehbar. Es war dann schon kurz vor Weihnachten, und ich freute mich, dass wir das Fest würden gemeinsam feiern können.

Vor Saint-Nazaire ließ ich meinen Blick über das Wasser und die Umgebung streifen. Ich hatte es geschafft!

 

Die letzten vier Monate waren so ereignisreich gewesen. Ich hatte viel gesehen und viel gelernt. Und es hatte sich sogar eine wichtige Frage für mich geklärt, nämlich die nach meinem Beruf. Es war so schön zu wissen, was man wollte. Und wer man war. Es klang kitschig, aber in den letzten vier Monaten war ich nicht nur durch Frankreich gereist, nein, es war auch eine Reise zu mir selbst geworden. Ich hatte erkannt, dass ich eine Musikerin war, die gerne las und Wissen an andere weitergab. Zudem war ganz klar, dass mir meine Familie und meine Freunde immens wichtig waren.

 

Doch nun freute ich mich auf Sunset Valley, meine Heimat.