Teil 3

Ein paar Tage nach unserer Motorradausfahrt besuchte mich Felix bei mir zu Hause. Schon als er reinkam, fiel mir auf, wie nachdenklich er war.

Und für ihn so typisch kam er auch gleich zur Sache, ohne um den heißen Brei herumzureden.

"Madeleine, ich muss mit dir reden", begann er, und das hörte sich so ernst an, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken fuhr.

"Stimmt etwas nicht?", fragte ich deshalb sofort nach.

"Doch, so weit schon, es ist nur so: Seit du mich das mit dem Schiff gefragt hast, mache ich mir immer wieder Gedanken darüber. Deshalb muss ich zuallererst wissen, wie ernst du das gemeint hattest, als du sagtest, dass du es dir vorstellen könntest, eine Rucksacktour zu machen". Das war es also! Ich hatte ihn praktisch wieder an seinen ursprünglichen Plan erinnert, der ihm nun anscheinend wieder im Kopf herumspukte.

"Da schlummert also doch noch dieser Wunsch in dir, oder?", fragte ich ihn behutsam und er seufzte auf.

"Ich weiß nicht. Vielleicht", murmelte er. "Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich möchte immer noch nicht von dir getrennt sein! Allein der Gedanke, dich wochenlang nicht sehen zu können, macht mich traurig. Aber es wäre für mich leichter zu ertragen, wenn ich wüsste, dass du dir mit deiner eigenen Reise auch einen Traum erfüllen würdest".

"Ich sage mal so", begann ich, "bis vor einem halben Jahr wäre ich noch nicht auf die Idee gekommen".

"Aha. Und jetzt bist du mit mir zusammen und hast den Wunsch, abzuhauen", meinte Felix trocken.

"Genau", sagte ich lakonisch und grinste.

"Bad Girl", warf mir nun Felix vor und ich musste lachen, weil ich nun die Retourkutsche für das >Bad Boy< bekam, das ich ihm an diesem unvergesslichen Abend in der Hütte vorgeworfen hatte.

"Felix, ich sag dir jetzt was. Erstens: Ich würde dich total vermissen, das ist keine Frage. Aber zweitens: Ich weiß noch nicht, was ich studieren soll und bevor ich hier untätig rumsitze, kann ich doch was Nützliches machen. Drittens: Ich könnte meine Sprachkenntnisse aufstocken z. B. in Frankreich, wo wir ja auch ein Werk stehen haben. Ich bin sicher, dass ich dort immer mal wieder bei Verhandlungen oder so sitzen werde, also kann es nicht schaden, oder? Viertens: Gerade, weil ich mir das vor einem halben Jahr noch nicht vorstellen konnte, ist es für mich auch aufregend, dass ich mir das jetzt zutrauen würde, dass ich mal meine Grenzen austeste. Und daran bist du nicht ganz unschuldig. Und fünftens: Ich will dich einfach glücklich machen. Reicht das erst mal an Argumenten?".

Da nahm Felix meine Hand in seine.

"Du bist eine sehr gute Rednerin, hat dir das schon mal jemand gesagt?", fragte er lächelnd nach, und das war ein Satz, den er mir so ähnlich tatsächlich schon mal gesagt hatte. Damals, als er mir mit der Rede für die Schulfeier geholfen hatte.

"Ja, aber das ist schon lange her", antwortete ich und gab ihm einen Kuss. Er küsste mich zart zurück.

"Du hast recht. Es wären für uns Erlebnisse, die einmalig wären. Und wer weiß, ob ich überhaupt eine Stelle bekomme, das ist ja auch nicht gesagt", sagte er dann zu mir.

"Ich glaube, dass du ganz gute Chancen hast, Berni. Mit deiner Ausbildung! Aber klar, wenn es gerade keine freie Stelle gäbe, dann würde die beste Ausbildung nichts bringen, aber das glaube ich nicht".

"Ich kann mich ja einfach mal bewerben. Auf welchem Schiff war da die Geschäftspartnerin von euch, von der du erzählt hattest?", hakte er nach.

"Auf der Otellocara", antworte ich.

"Gut. Dann will ich mal googeln, zu welcher Reederei der Dampfer gehört und schicke da mal eine Bewerbung hin. Mehr als nein sagen können sie ja nicht", sagte er.

"Eben!", bestätigte ich.

Dann zog mich Felix in seine Arme und begann, mir den Nacken zu kraulen. Die Berührung war für mich atemberaubend wie immer, und weil ich jetzt wusste, was für Freuden diese Hände sonst noch auslösen konnten, drifteten meine Gedanken schon wieder in die unkeuscheren Regionen meines Gehirns ab.

"Creamy?", sagte Felix fragend.

"Ja?", gab ich zurück.

"Es wäre gut, wenn ich wüsste, dass du mit dieser Rucksacktour auch etwas für dich selbst machen würdest. Und es nicht nur machst, um damit jemandem einen Gefallen zu tun, in diesem Fall mir. Ich finde, du hast eh schon oft mehr an andere als an dich gedacht". Das kam so unvermittelt, dass ich ihn abrupt los ließ.

"Wie meinst du das?", fragte ich ihn krächzend und alle meine erotischen Gedanken waren verschwunden.

"Weißt du, von Viola weiß ich ja so manches, auch von früher. Sie hat mir z. B. erzählt, dass sie sich, als ihr noch Teenager wart, darüber aufgeregt hat, dass du immer die guten Noten nach Hause gebracht hast, weil sie deshalb immer schlechter da stand. Sie hat sich mehr als einmal gewünscht, dass du einfach auch nur eine normale Teenagerin wärst. Damals, ich war ja selbst noch grün hinter den Ohren, habe ich mich auf ihre Seite gestellt. Ich fand es toll, dass sie ihr Leben genießen wollte und konnte überhaupt nicht verstehen, wie du deines an die Schule und an Bücher verschenken konntest. Heute, als Erwachsener, sehe ich das natürlich anders. Ich weiß jetzt, warum du so gehandelt hast. Du hast einfach deinen Eltern keinen Ärger machen wollen. Das meinte ich vorhin: Du willst es immer allen Recht machen. Und eigentlich wärst jetzt du mal an der Reihe". Ich versuchte, seine Worte auf mich wirken zu lassen. Eigentlich hatte ich mich nicht so gefühlt, als hätte ich immer den Kürzeren gezogen. Oder hatte ich mich einfach schon so daran gewöhnt? Wenn ich daran dachte, wie schnell mich auch Adam hatte um den Finger wickeln können...

"Ich denke, ich würde diese Reise tatsächlich auch für mich machen", sagte ich dann, und meinte das auch so. "Schon allein, weil ich es mir jetzt zutrauen würde. Dieses Gefühl muss ich auskosten", lachte ich. Felix lächelte mich an.

"Sehr gut!", sagte er dann. "Dann kann ich mich ja ganz beruhigt bewerben".

"Das kannst du", sagte ich dann und nahm ihn wieder in den Arm.

 

Und genau so machten wir es auch. Felix bewarb sich bei der Reederei, der die >Otellocara< gehörte.

Nur zwei Wochen später bekam ich eine Nachricht von ihm, während ich gerade gelernt hatte. Die mündlichen Prüfungen rückten immer näher, und ich war eh schon so abgelenkt, dass ich jetzt mal wieder ein bisschen die Nase in die Bücher stecken musste. Aber Felix' Worte hatten sich dringlich angehört, also war ich in seiner Mittagspause zu ihm ins Restaurant gefahren. Dort angekommen, führte mich Felix in die Küche, die er nach dem Mittagsgeschäft aufräumen musste, so dass sie für das Abendgeschäft wieder sauber war.

"Was ist passiert?", fragte ich ihn direkt.

"Lies dir mal den Brief da drüben durch", sagte er nur und zeigte mit dem Finger auf ein Stück Papier, das auf der Küchentheke lag.

Ein maritimes Logo prangte rechts oben, und ich ahnte schon, von wem dieser Brief war.

Und ich begann den Brief zu lesen, den mein Freund von der Reederei Seaside Line bekommen hatte.

"Ich habe es gewusst", trumpfte ich auf. "Ich wusste, dass du Chancen hast!".

"Kaum zu glauben, oder?", fragte Felix.

"Doch, das war doch klar", sagte ich und lächelte ihn an.

"Hast du gesehen, wo das Gespräch stattfinden wird? Ich muss in den hohen Norden! Glaubst du, es ist angemessen, wenn ich dort mit der Motorradkluft zum Gespräch komme?", schmunzelte er.

"Sicher doch", lachte ich auf. Da Felix tatsächlich kein eigenes Auto hatte, sondern nur das Motorrad, stellte sich die Frage, wie er die über 600 km bis nach Lichterhafen am besten zurücklegen konnte. Er konnte ja wirklich schlecht in Lederklamotten dort aufkreuzen, und eine Möglichkeit sich umzuziehen hatte er vermutlich auch nicht. Wo auch? Sein Onkel Thomas hatte ein Auto, der brauchte das aber oft selbst wegen des Ladens. Ein Zug ginge natürlich auch, da musste man sich mal wegen der Verbindung erkundigen.

Felix sah mich eine ganze Weile forschend an, ohne etwas zu sagen. Gerade, als ich fragen wollte, ob alles okay war, sagte er:

"Wenn das klappt, Madeleine... Wenn ich den Job bekomme... Dann sehen wir uns wirklich monatelang nicht". Wieder machte er eine Pause, und auch ich musste schlucken. Es war das eine gewesen, davon zu sprechen, und etwas ganz anderes, dass das jetzt vielleicht wirklich so werden würde. Und da ich mir sicher war, dass Felix den Job bekommen würde, standen wir wirklich davor, uns so lange nicht mehr sehen zu können. Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, es kämpfte mit dem freudigen und stolzen, was ich verspürte, weil ich es Felix so sehr gönnte und natürlich auch mächtig stolz auf ihn war. Doch das andere Gefühl, dass sich nun ebenfalls in mir einnistete, wurde immer stärker. Traurigkeit. Die Traurigkeit, ihn lange Zeit nicht sehen und spüren zu können.

"Ich weiß", sagte ich deshalb nur kurz angebunden.

"Kein so prickelnder Gedanke", meinte auch Felix, und ich befürchtete, dass er allein deshalb gar nicht erst zu dem Gespräch bei der Reederei gehen würde. Und das war eine tolle Chance, die er sich niemals entgehen lassen durfte!

"Für mich auch nicht. Aber wir haben unsere Handys, oder? Die Zeit wird bestimmt auch schnell vergehen, weil wir beide so viel erleben werden. Und was denkst du, was wir uns werden erzählen können! Und in ein paar Jahren werden wir an die Zeit nur noch denken, weil wir tolle Erfahrungen gemacht haben und nichts bereuen müssen".

"Vermutlich hast du recht", meinte er.

Wir nahmen uns in die Arme, und auch wenn ich dann solche Berührungen von ihm vermissen würde, war es doch beschlossen: Wenn die Reederei Felix einstellen würde, würde er auf das Schiff gehen und ich meine Reise machen.

 

Drei Wochen später hatte Felix dann die Zusage von der Reederei in der Tasche. Er ließ sich von seinem jetzigen Chef für ein halbes Jahr beurlauben, in der Zeit würde eine befristete Küchenkraft seinen Job in dem Restaurant übernehmen. Und ich plante meine Tour und würde am gleichen Tag starten wie Felix. Das würde der 16. August sein.

Am kommenden Freitag Abend traf ich mich mit meiner besten Freundin Maika vor dem "50's". Wir waren schon seit der Grundschule befreundet und sie war eine meiner engsten Vertrauten.

"Super, dass das heute geklappt hat!", freute sie sich. In den letzten Tagen hatten wir uns nicht so oft gesehen, weil auch sie für die Prüfungen lernte. Wir alle waren im Prüfungsstress.

"Gott, ich kann bald wirklich keine Schulbücher mehr sehen!", schnaufte sie, als wir uns an einen Tisch setzten.

"Bald, Maika, bald haben wir es hinter uns!", munterte ich sie auf.

"Zumindest so lange, bis der Stress in der Uni wieder los geht", meinte sie und las schon angestrengt in der Speisekarte. Die Cousine meiner Mutter, Sabrina Wan, arbeitete hier als Kellnerin. Als sie zu uns kam, um die Bestellung aufzunehmen, freute sie sich sehr, uns zu sehen. Nach einem kurzen Small-Talk schrieb sie sich unsere Wünsche auf und ging dann in die Küche.

"Maika", begann ich und sah meine Freundin an. "Es hat geklappt. Felix hat den Job".

Sie sah mich mit großen Augen an.

"Das heißt, dass du deine Reise machen wirst, oder?". Ich nickte.

"Ja, ich werde für drei oder vier Monate durch Frankreich reisen. Wie lange genau weiß ich noch nicht, die Route steht noch nicht ganz fest". Sie seufzte auf.

"Ich werde dich hier total vermissen! Was mache ich denn hier ohne dich? Im Oktober geht die Uni los, da bist du dann irgendwo unterwegs. Ich weiß nicht, ob ich das durchstehe!".

"Doch, klar stehst du das durch!", widersprach ich. "Wir werden per Handy in Kontakt bleiben, das ist doch klar! Und du musst mir dann alles von der Uni erzählen, ja?". Maika hatte sich für das Studium der Mathematik entschieden. Sie wusste noch nicht genau, was genau sie mal nach dem Studium arbeiten wollte, aber sie wusste schon seit mindestens zwei Jahren, dass sie Mathe studieren wollte.

"Ja, das mache ich. Und du mir von deiner Reise!".

"Logisch", sagte ich.

"Wann geht es denn los?".

"Am 16. August. Wir haben uns also noch ein paar Wochen".

"Okay", sagte sie dann. "Themawechsel: Wie geht es deinem Herzblatt?", wollte sie wissen und grinste mich an. Damit wären wir bei meinem Lieblingsthema, und meine Laune hob sich sofort um ein paar Level.

"Gut. Zumindest wüsste ich nichts anderes", lachte ich.

"Ich hoffe, dass ich auch mal so jemanden finde", meinte Maika, die seit einem halben Jahr solo war. Davor war sie knapp ein Jahr lang mit einem Jungen aus unserer Parallelklasse zusammen gewesen. Die beiden hatten sich getrennt, als sie festgestellt hatten, dass die Gefühle einfach nicht so groß waren, um eine Beziehung aufrecht erhalten zu können. Sie hatten sich schlicht >entliebt<.

"Vielleicht ja auf der Uni!", machte ich ihr Mut. "Ich schätze, dass im Mathehörsaal überwiegend Männer sitzen werden".

"Da könntest du Recht haben", meinte sie. "Hm, wieder ein Punkt mehr, dass ich wohl den richtigen Studiengang für mich gewählt habe". Sie zwinkerte mir zu. Als wir dann unser Essen vor uns stehen hatten, drehte sich unser Gespräch dann um unsere Abschlussfeier und - natürlich ganz wichtig - die Kleiderfrage zu diesem Ereignis.

 

Als wir uns dann spät an dem Abend verabschiedeten, hatte ich einen wunderbaren Abend mit meiner Freundin verbracht.

Es war eine Woche vor unserer mündlichen Prüfung, als Felix mal wieder die Möglichkeit hatte, in seiner alten Band zu spielen.

 

Er war dort Gründungsmitglied gewesen. Sein Freund Bastian, der rothaarige Clemens und er hatten die Band schon zu Schulzeiten gegründet und auch ein paar Auftritte bei Schul- und Sommerfesten gehabt. Erst, als er wegen seiner Arbeit immer weniger Zeit gehabt hatte, hatte er die Band verlassen. Für ihn war Stefan gekommen. Doch da die Band in einer Woche einen Auftritt und Stefan sich die Hand gebrochen hatte, musste er nun einspringen. Oder eher durfte, denn er hatte sich gefreut, mal wieder Bandluft schnuppern zu können.

An diesem Abend probten die drei, und Viola und ich besuchten sie dabei. Wir wollten danach noch die Stadt unsicher machen, und deshalb hatte ich mich besonders herausgeputzt.

Als Felix hochblickte und mich sah, griff er bei zwei Noten daneben. Schnell war er wieder im Stück drin, doch sein Blick suchte immer wieder den meinen.

"Er hat sich verspielt", stellte Viola trocken fest.

"Na und? Das macht doch nichts", gab ich zurück, ohne den Blick von Felix abzuwenden.

"Das kommt bei ihm aber eigentlich so gut wie nie vor. Ich schätze mal, dass du da nicht ganz unschuldig bist, Schwesterherz", meinte sie.

"Ich kann doch nichts dafür!", verteidigte ich mich.

"Das weiß ich doch", sagte sie. "Aber ich kann nur hoffen, dass ich nicht so aussehe wie ihr beide gerade, wenn ich Volker anschaue. Man könnte meinen, dass ihr euch mit Blicken aufessen wollt".

"Quatsch", sagte ich bestimmt und hätte mich in dem Moment aber doch gerne gesehen. War es echt so schlimm?

 

Ich vermutete, dass ein Fünkchen Wahrheit wohl an ihren Worten lag. Deshalb versuchte ich mich zu entspannen und auch mal zu Bastian und Clemens zu schauen.

Es war so toll, ihn in der Band spielen zu sehen. Und ich wünschte, dass ich schon früher mit ihm zusammen gekommen wäre, dann hätte ich ihn bei seinen Auftritten begleiten können. Wie ein Groupie sozusagen. Er wäre mein ganz persönlicher Star gewesen. Nein, das war falsch. Er war mein ganz persönlicher Star.

Nach der Probe kam er zu mir.

"Madeleine, du siehst - einfach unglaublich aus!", sagte Felix und sah mich mit leuchtenden Augen an.

"Danke!", lächelte ich glücklich, weil ich mich über sein Kompliment freute.

"Nicht, dass du nicht immer super aussehen würdest. Aber ich glaube, wenn ich nicht schon längst in dich verliebt wäre - heute wäre es bestimmt passiert", meinte er und nahm mich in den Arm.

"Dabei habe ich mir nur schnell was übergeworfen", scherzte ich und zwinkerte ihn an, so dass er meinen Witz verstand. Obwohl es ihm selbst klar sein dürfte, dass ich das heute nicht einfach schnell übergeworfen hatte. Ganz im Gegenteil sogar. Und er zwinkerte dann auch zurück. "Wie war es für dich, mal wieder in der Band zu spielen?", wollte ich dann wissen.

"Ganz ehrlich? Total genial!", antwortete er mit strahlenden Augen. "Wenn ich andere Arbeitszeiten hätte, dann würde ich sofort wieder einsteigen".

"Vorausgesetzt, Stefan würde den Platz wieder frei machen", schmunzelte ich.

"Ja, das stimmt. Nun, ich würde ihm vielleicht einfach keine andere Wahl lassen", grinste er mich an. Dann wechselte Felix das Thema. "Und was sagst du eigentlich zu meinem Outfit?", fragte er, und ich musterte ihn noch mal. Als ich seine Oberarme, den Brustkorb und seine Muskeln betrachtete, wurde mir schon wieder ganz heiß und ich hob wieder meinen Blick, um ihm in die Augen sehen zu können.

"Sexy", sagte ich dann, und er hob eine Augenbraue an.

"Ja?".

"Hm", machte ich.

"Was machst du heute nach der Disco-Tour?", fragte er süffisant.

"Da hat sich noch kein Kavalier für mich gefunden", antwortete ich.

"Das gibt es ja nicht!", entrüstete er sich. "Das sollte man aber möglichst schnell ändern, oder?".

"Wer ist >man<?", wollte ich ihn locken.

"Also, ich wüsste da jemanden", sagte er auch gleich. "Ich weiß nur nicht, ob du den Kerl so gut findest". Ich musste mir schon das Lachen verkneifen, doch ich wollte das Spiel noch ein wenig mitspielen und riss mich noch zusammen.

"Das kann ich erst beurteilen, wenn ich weiß, wer das ist", gab ich zurück.

"Najaaa", machte Felix gedehnt. "So ein komischer Vogel halt. Steht auf Nieten und Leder, spielte in einer Rockband, fährt natürlich Motorrad, und wie mir zu Ohren gekommen ist, ist der Kerl als Jugendlicher polizeibekannt gewesen. Wie hört sich das für dich an? Schlimm, oder?".

"Total schlimm", bestätigte ich und musste nun doch grinsen. "Mit so einem willst du mich jetzt verkuppeln? Der bekommt sonst wohl keine ab, oder? Na gut, dann will ich mal nicht so sein, erbarme ich mich eben und gebe diesem komischen Vogel heute eine Chance", sagte ich hoheitsvoll und zwinkerte.

"Du bist dir ganz sicher?", vergewisserte sich Felix noch mal und ich nickte.

"Absolut. Ganz sicher", bestätigte ich und sah meinen wunderbaren Freund lächelnd an, der daraufhin zurücklächelte.

"Was ist eigentlich, wenn dich der Kerl dann noch zu sich einladen würde? Ich meine, der wird dir dann sicher nicht nur seine Briefmarkensammlung zeigen wollen".

"Meinst du?", fragte ich gespielt naiv und legte dann meine Rolle ab, um ihm zu sagen, was ich wirklich von der Idee hielt: "Das wäre eine total tolle Idee, wenn ich heute bei diesem Typen übernachten könnte".

Meine Tage waren extrem ausgefüllt. Nicht nur, dass ich für die Prüfungen lernte, nein, ich bereitete mich auch intensiv auf mein Abenteuer vor.

 

Ich trainierte vermehrt Jiu Jitsu, um mich in einer brenzligen Situation wehren zu können, ich joggte wie noch nie in meinem Leben, um meine Beinmuskulatur zu trainieren und fit für die sicher anstrengende Reise zu sein. Ich plante Routen, machte eine Liste von den Dingen, die ich mitnehmen musste und überlegte mir, wie ich auf der Reise zu Geld kommen konnte. Denn eines wollte ich auf jeden Fall: Mir das Geld zum Leben selbst zu verdienen.

Es war vier Tage vor unseren Prüfungen, als ich nach einer ausgiebigen Joggingrunde frisch geduscht in meinem Zimmer saß und mir noch mal die Aufschriebe der Fächer ansah, in denen ich mündlich befragt werden würde. Wahnsinn, dass bald alles vorbei wäre! Ich wusste, dass ich genügend gelernt hatte, eigentlich durfte nichts mehr schief gehen.

 

Viola kam in mein Zimmer und verdrehte die Augen, als sie mich lernen sah.

"Als ob du das noch nötig hättest", meinte sie.

"Ich will nur sichergehen", sagte ich schon fast entschuldigend. Felix' Worte fielen mir ein, als er mir erzählt hatte, dass Viola früher von meiner Lernerei und den guten Noten oft genervt gewesen war. Ich hoffte, dass sie das nicht mehr so wie damals empfand. Ich wollte sie gerade darauf ansprechen, als sie sagte:

"Ich müsste etwas mit dir besprechen. Wegen Felix". Ich runzelte verwirrt die Stirn, sagte aber:

"Natürlich. Was ist denn los?".

"Es ist so: Ihr zwei seid ja bald weg. Er auf dem Schiff, du per pedes in Frankreich. Und ich weiß natürlich, dass ihr euch jetzt noch oft sehen wollt, weil ihr so lange getrennt sein werdet. Aber vergesst bitte nicht: Auch ich werde euch vermissen und bräuchte echt noch ein bisschen Zeit mit euch".

Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen.

"Das verstehe ich. Es tut mir leid, wenn wir das irgendwie... wie soll ich sagen? Nicht bedacht haben. Ich hoffe, du kannst verstehen, dass ich gerade jede freie Minute mit ihm verbringen will".

"Klar. Mir ginge es vermutlich nicht anders. Aber denkt auch bitte an uns, okay? Ich denke, Basti und Oskar wollen ihren Freund auch noch ein bisschen haben, bevor er für ein paar Monate verschwindet". Ich seufzte auf. Oskar war mir vermutlich eh schon böse, seit er mitbekommen hatte, dass ich Felix wieder auf die Idee mit dem Job auf einem Schiff gebracht hatte.

"Ja, ich will in Zukunft daran denken", versprach ich. "Es ist gut, dass du es gesagt hast, denn ich hätte das gar nicht so empfunden. Es ist halt trotz allem auch ein komischer Gedanke für mich, ihn bald gar nicht mehr sehen zu können".

"Maddy, das kann ich mir denken, ehrlich! Aber weißt du, das ist eh schon manchmal nicht so leicht für mich. Er erzählt mir nicht mehr alles, anders als früher, als ich wirklich über alles aus seinem Leben informiert war. Jetzt schließt er das Thema >Freundin< fast komplett aus. Klar, denn diese Freundin ist zufälligerweise meine Zwillingsschwester. Ich muss froh sein, auf die Frage, ob er immer noch glücklich ist, überhaupt eine Antwort zu bekommen. Es ist eine total seltsame Situation, nicht nur für mich, sondern auch für ihn. Er hat mir nämlich mal gesagt, dass er natürlich schon immer noch alles mit mir besprechen kann, er aber nichts ausplappern möchte, was mit eurer Beziehung zusammenhängt. Da solle ich doch bitte warten, bis du auch dabei bist. Verstehst du? Es hat sich halt schon was verändert".

"Ja, aber ich denke, dass du dich daran gewöhnen wirst. Und ich bin schon auch froh, dass er da zu Dir nichts sagt, was... na ja, eben etwas intimer ist, wenn du verstehst, was ich meine". Viola machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Sicher, und darüber wollte ich eh nichts wissen, glaube mir! Aber ich wollte damit ja auch nur sagen, dass sich für mich so oder so schon was verändert hat, und ich deshalb jetzt einfach ein bisschen mehr Zeit mit ihm brauche. Okay?".

"Okay. Ich werde daran denken", versprach ich und Viola ging einigermaßen zufrieden aus meinem Zimmer. Es war zur Zeit wirklich eine ganz seltsame Situation. Wir waren beide wegen der Prüfungen etwas nervös, dann die bevorstehende Reise und dann noch dieses Gefühl, Felix teilen zu müssen.

Doch ein paar Tage später war es geschafft.

 

Ich hatte mein Abitur in der Tasche! Die Prüfungen waren besser gelaufen, als ich befürchtet hatte, und einen entsprechend guten Abschluss konnte ich nun mein eigen nennen. Froh, dieses Kapitel endlich schließen zu können, grinste ich am Tag der Abschlussfeier auch wie ein Honigkuchenpferd.

Alle hatten sich wegen uns so richtig in Schale geworfen.

Mein Abschlusszeugnis. Wenn das kein Grund zum Feiern war!

Selbst Tante Tatjana, die ja sonst als Pilotin auf der ganzen Welt unterwegs war, hatte sich für diesen Tag frei genommen, was mich riesig freute. Wir sahen sie viel zu selten, da war jeder Besuch von ihr ein Fest.

Meine Schwester hatte das Abitur mit 2,4 abgeschlossen. Sie hatte in den letzten Monaten sehr viel gelernt, oft auch mit mir zusammen, um gute Chancen zu haben, Sozialpädagogik studieren zu können. Ich war stolz auf sie, dass sie das noch so hinbekommen hatte!

Natürlich war auch Felix hier.

"Ich bin so stolz auf dich", sagte er nach der Feier zu mir.

"Dankeschön", freute ich mich.

"Habe ich das richtig verstanden? Du bist nicht nur Klassenbeste geworden, sondern gehörst auch zu den Jahrgangsbesten?", wollte er wissen, und ich wand mich, weil ich nicht gerade als Streberin dastehen wollte.

Doch Felix zog mich in seine Arme, küsste mich und sagte dann:

"Habe ich dir je gesagt, dass es mich total anmacht, wenn eine Frau clever ist?". Ich wurde wieder lockerer und antwortete:

"Ich glaube nicht, nein".

"Dann weißt du es ja jetzt", sagte er und küsste mich gleich noch mal.

Auch wenn diese offizielle Schulverabschiedung schön gewesen war, so richtig spannend wurde es dann nur einen Tag später, denn da hatten wir Abiturienten unseren Abiball.

 

Für diesen Anlass hatten Viola und ich uns neue Kleider gekauft.

Ich war mit meinem Styling gerade fertig geworden, als meine Schwester in mein Zimmer kam.

"Wow Maddy! Du siehst toll aus!", sagte sie und sah mich bewundernd an.

"Du aber auch!", konnte ich zurückgeben, denn sie sah in dem Kleid umwerfend aus. Man sah sie eher selten in einem Rock oder Kleid, und in so einem schon gleich zweimal nicht.

"Danke! Aber gewöhne dich lieber nicht an so einen Look bei mir", lachte sie.

"Keine Sorge, du kannst ja eh alles tragen und siehst super aus", schmeichelte ich ihr.

"Du doch auch", meinte sie. "Du, ich denke, die Jungs sind vorhin schon gekommen. Sicher warten sie unten auf uns", fügte sie hinzu. Volker wollte Felix von zu Hause abholen, weil der eh fast an seinem Haus vorbei kam. Daher würden wir vier heute alle in einem Auto fahren können. Und als hätten sie dort unten unser Gespräch gehört, rief unsere Mutter nach uns, um uns mitzuteilen, dass unsere Freunde da wären.

"Showtime!", sagte ich grinsend, und wir rafften unsere Röcke, um nach unten zu eilen.

Wo bereits zwei unfassbar gutaussehende Jungs auf uns warteten.

Als sie hörten, dass wir kamen, drehten sie sich zu uns um und ich konnte Felix einfach nur anstarren. Und er mich.

 

Der Moment war absolut magisch.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals, als ich zu ihm ging. Ich konnte es nicht fassen, wie gut ihm der Anzug stand. Ich wusste, dass er solche Klamotten nicht so gerne trug, und er sah auch in anderen Sachen umwerfend aus, aber das hier war gerade irgendwie etwas ganz Besonderes. Vielleicht, weil ich wusste, dass er das jetzt nur für mich angezogen hatte.

"Madeleine, wie machst du das? Du wirst immer schöner". Er sah mich mit so einem warmen Ausdruck in den Augen an, dass ich weiche Knie bekam.

"Du siehst auch super aus", konnte ich nur mit zitternder Stimme sagen.

Ich bekam für einige Augenblicke dann nicht mehr viel von dem mit, was um mich herum geschah. Der Kuss von Felix war einfach zu gut.

Doch dann machten wir uns auf den Weg zu der Stadthalle, in der unser Abiball statt fand.

 

Schon als wir die Halle betraten, schlug uns die Musik der Live-Band und die Gespräche der Abiturienten und ihrer Begleiter entgegen.

Wir vier stürmten schon gleich, nachdem wir uns einen Tisch gesichert hatten, die Tanzfläche.

Maika war heute mit einem Mitschüler von uns zu dem Ball gekommen. Auch sie war total gut drauf und wir blödelten immer wieder herum.

Auch Viola war sehr ausgelassen. Ich schätzte, sie war noch glücklicher als ich, endlich das Abi in der Tasche zu haben und feierte deshalb wie eine Wahnsinnige.

Und weil ich nicht vergessen hatte, dass sie sich mehr Kontakt mit ihrem besten Freund wünschte, tanzte ich dann auch mal mit Volker, während Viola mit Felix tanzte.

Später gingen Felix, Viola, Volker und ich in die Bar. Wir orderten einen "Swimming Pool", einen Cocktail mit weißem Rum, Whiskey, Sahne, Ananassaft, Cream of Coconut und Curacao Blue, wie wir von Felix und Viola erfuhren. Er schmeckte köstlich!

Irgendwann fragte Felix Viola und Volker:

"Wenn ihr jetzt dann studiert - wie macht ihr das dann mit den Kids, die ihr jetzt schon betreut? Machen das dann andere weiter oder wie läuft das jetzt ab?".

Volker sah seine Freundin ganz ernst an, und auch aus Violas Gesicht wich die Freude.

"Klar, sind andere da, die sich weiter um die Kids kümmern, wenn wir nicht mehr so viel Zeit haben", begann sie, und ich hörte ihrer Stimme an, dass sie aufgewühlt war, "aber so leicht ist es leider nicht. Es gibt z. B. ein drogenabhängiges Mädchen, dass eigentlich nur zu mir Vertrauen hat. Da bin ich ganz kurz davor, sie zur Beratungsstelle zu bewegen, aber wie soll ich weiter mit ihr arbeiten, wenn ich nicht mehr so oft Zeit habe? Die Beratungsstelle ist ja erst der Anfang. Ich hoffe, ich verliere da nicht den Bezug zu ihr".

"Wir haben darüber schon tagelang diskutiert", sagte nun auch Volker und nahm sachte Violas Hand in seine. "Wir hoffen einfach, dass wir neben dem Studium noch genug Zeit für die Kids haben werden". Ich sah die beiden an und konnte sie nur für diese Arbeit bewundern.

"Ich kann eure Sorgen da gut verstehen", sagte ich. "Ihr hängt da einfach schon ganz schön tief drinnen, oder?".

"Da kommt man schneller rein, als man schauen kann, wenn man sich nur ein bisschen mit dem Thema beschäftigt", sagte Viola.

"Aber lasst uns heute nicht von solchen Dingen reden!", forderte uns dann Volker auf und drückte noch mal Violas Hand, bevor er uns zuprostete. "Jetzt wird gefeiert!".

"Einverstanden!", sagte Felix sofort und ließ sein Glas an Volkers klirren. Wir tranken dann gleich noch mal einen Cocktail, bevor wir dann wieder in die Halle gingen um weiter Party zu machen.

Der Morgen brach schon wieder an, Felix und ich gehörten zu den letzten Gästen des Balls. Die Band hatte schon aufgehört zu spielen, doch da die Bar noch geöffnet hatte, waren wir zwischen dieser und der Tanzfläche hin- und hergewechselt. Auf der Tanzfläche tanzten wir zu Musik aus dem Handy und knutschten, bis wir keine Luft mehr bekamen.

 

Dieser Abend und die Nacht gehörten zu meinen schönsten Erlebnissen, die ich je hatte.

Und rasend schnell kam dann der 16. August.

 

Es war soweit. Heute würde ich nicht nur Felix am Hafen verabschieden, sondern selbst zu meiner viermonatigen Reise aufbrechen. Meine ganze Familie stand im Esszimmer, als ich es betrat. Selbst Sven war gekommen, der eigentlich mitten im Umzug steckte und schon mehr in Simgard als hier in Sunset Valley lebte.

Ich redete gerade mit meinem Bruder, als die Tür aufging und Sam herein kam!

Er machte mit mir high five.

"Du glaubst doch nicht, dass ich dir nicht Auf Wiedersehen sage, oder?", grinste er mich an.

"Und ich dachte, dass du dir nicht mal das Datum merken konntest", frotzelte ich, woraufhin er mich kurz in den Schwitzkasten nahm, aus dem ich mich jedoch innerhalb von ein paar Sekunden selbst befreien konnte.

"Na, Sorgen, du könntest irgendwie angegriffen werden, müssen wir uns um dich schon mal nicht machen, das steht fest", sagte er anerkennend. Ich strahlte wegen seines Lobes.

Außerdem freute er sich, als er neben meinem gepackten Rucksack auch die Gitarre stehen sah. Als ich ihm bestätitgte, dass die mit auf die Reise gehen würde, meinte er nur:

"Gute Entscheidung! Sie wird dich ernähren".

Als die Zeit dann drängte, verabschiedete ich mich von meiner Familie. Zuerst drückte ich Sven.

Dann meine Schwester.

Danach riss mich mein Daddy in seine Arme.

"Maddy, ich weiß, dass du dir alles, was du brauchst, selbst verdienen willst. Aber tue mir den Gefallen und melde dich, bevor du verhungerst, okay?". Ich lächelte meinen Vater an.

"Versprochen", sagte ich und hoffte, dass ich nie in diese Situation kommen würde.

Meine Mutter war die letzte, von der ich mich verabschieden musste. Sie kämpfte gegen die Tränen an, und ich bemerkte, dass es mir immer schwerer fiel, je länger ich noch hier war. Und meiner Familie schien es nicht anders zu gehen.

 

Deshalb verbot ich ihnen, mit nach draußen zu kommen, als ich meinen Rucksack schulterte und mir die Gitarre mit dem Gurt um den Nacken legte. Ich hatte nicht gerade leichtes Gepäck dabei, doch daran würde ich mich jetzt die nächsten Wochen lang wohl oder übel gewöhnen müssen.

 

Und noch ohne noch mal zurückzublicken verließ ich mein Elternhaus.

Am Hafen von Sunset Valley angekommen, fiel mir das Kreuzfahrtschiff, das Felix wegbringen würde, sofort auf.

Da mein Freund anscheinend noch nicht da war, besah ich mir das Schiff genauer. Und fragte mich, ob ich nicht einfach mit ihm hätte um die Welt schippern sollen. Ich hätte es mir an Deck gut gehen lassen, sein köstliches Essen beim Dinner genossen und hätte ihn vor allem nach seiner Arbeit gesehen.

 

Klar, Madeleine, rügte ich mich dann selbst. Du wärst auf der faulen Haut gelegen. Darauf hättest du fürwahr stolz sein können! Nein, so, wie es war, war es gut. Ich machte eine Erfahrung nur für mich selbst.

Ich war wohl so in Gedanken gewesen, dass ich nicht gehört hatte, dass Felix kam. Er umarmte mich sofort.

"Was für eine scheiß Situation", brachte er es kurz und knackig auf den Punkt, was auch ich fühlte.

"Da hast du recht", krächzte ich und sog diese Umarmung in mich auf. Ich musste schließlich lange davon zehren.

"Warum genau wollen wir das noch mal machen?", fragte Felix an meinem Hals und ich lachte auf.

"Das weißt du ganz genau. Und einen Rückzieher gibt es nicht". Meine Worte kamen sicher stärker rüber, als ich mich fühlte.

"Spielt hier die Taffe, aber zittert unter meinen Händen", sagte Felix liebevoll und küsste mich sanft. Natürlich hatte er bemerkt, wie es mir wirklich ging. Genauso, wie ich spürte, dass auch ihn das jetzt nicht kalt ließ.

Nach dem Kuss drückte mir Felix einen Briefumschlag in die Hand.

"Lies den aber bitte erst, wenn ich weg bin, ja?", bat er mich und vor Überraschung konnte ich nur nicken.

"Du machst es ja spannend", sagte ich dann, als ich den Brief in meinem Rucksack verstaut hatte.

"So spannend ist es gar nicht", erwiderte er. "Und ich würde natürlich zu gern deine Reaktion sehen, wenn du ihn liest, aber es ist wirklich besser, du machst das ohne mich". Ich runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.

"Vertrau mir", sagte er dann, und ich nickte ergeben.

Doch auch ich hatte ein kleines Geschenk für ihn. Mein Vater hatte am Tag unseres Abiballs von uns Pärchen noch ein paar Fotos gemacht. Eines davon hatte ich für ihn nachmachen lassen, und ihm hinten drauf geschrieben, dass ich ihn liebte, dazu einen Kussmund aus Lippenstift drauf gedrückt.

"Wow, dankeschön!", freute er sich über das Foto von uns. Ich hatte mir natürlich auch einen Abzug davon in den Rucksack gepackt.

 

Doch plötzlich standen wir voreinander und konnten nichts mehr sagen. Der Abschied hing über uns, schien fast greifbar zu sein. Er nahm mir schier die Luft zum Atmen.

Doch irgendwann presste ich heraus:

"Du passt gut auf dich auf, ja? Fällst mir nicht ins Wasser oder so etwas". Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.

"Versprochen. Und du passt gut auf dich auf. Ich habe dir  ja noch mal ein paar spezielle Griffe gezeigt, du kannst dich also sehr gut zur Wehr setzen. Selbstbewusst sein! Das musst du dir merken. Es ist schon wichtig, wie du auftrittst. Okay?".

"Ich war noch nie so selbstbewusst wie jetzt", sagte ich, und das war die Wahrheit.

"Dann ist es ja gut. Ich weiß ja auch, dass du es kannst", bestärkte er mich.

Doch dann war es auch für Felix und mich so weit: Wir mussten uns verabschieden. Er wurde auf dem Schiff erwartet.

 

Unser letzter Kuss fühlte sich anders an als die anderen. Denn dort drin hing das Wissen, dass es der letzte Kuss für eine sehr lange Zeit war.

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