Teil 1

Felix legte seine Lippen ganz sanft auf meine. Die Berührung allein brachte mich völlig aus der Fassung, alles in mir war wie elektrisiert.

 

Es war ein unglaubliches Gefühl, besser, als ich mir das je hätte erträumen können. Wir tasteten einander ab, vorsichtig und zärtlich, was im krassen Gegensatz zu meinem Inneren war. Denn dort tobte alles, das Adrenalin schoss torpedoartig durch meine Adern, mein Bauch vollführte Achterbahnfahrten und eine Gänsehaut jagte meinen Rücken hinunter.

Nach diesem Kuss sahen wir uns nur an. Felix schaute so überrascht, wie ich mich fühlte.

Und küsste mich sofort wieder. Leidenschaftlicher diesmal, es war, als wenn unser erster Kuss nur ein kleiner Test gewesen wäre, wie der andere reagieren würde, wie er schmeckte. Doch jetzt brachen alle Dämme, und ich schmolz in seinen Armen dahin.

Ich hatte schon so oft in Romanen von dieser Situation gelesen. Die Beschreibungen darin, wie zwei Personen zueinander fanden und was sie bei ihren ersten Küssen empfanden, waren sehr schön gewesen. Ich hatte mich in die Personen reinversetzt, und gute Autoren hatten es verstanden, dass ich es förmlich selbst spüren konnte, wie sich ihre Protagonisten in diesem Moment gefühlt haben mussten.

 

Und musste jetzt feststellen, dass ich keine Ahnung gehabt hatte. Nichts war mit dem eigenen Empfinden vergleichbar, meine eigenen Vorkenntnisse waren praktisch unbrauchbar im Vergleich zu dem, was hier passierte.

Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, sah mich Felix mit seinen wunderschönen Augen an. Er lächelte und sagte:

"Madeleine, was machst du mit mir?".

Ich schmunzelte.

"Das gleiche wie du mit mir, hoffe ich mal", antwortete ich ihm dann mit zittriger Stimme, weil ich immer noch so aufgewühlt war. Es war ein Traum!, dachte ich bei mir. Das musste es sein! Felix hatte mich doch jetzt gerade nicht wirklich geküsst, oder? Und auch jetzt - ich spürte nicht noch seine Umarmung, seine Wärme auf meiner Haut. Wahrscheinlich war ich vorhin, als er mir die richtige Handstellung gezeigt hatte, bei seiner Berührung einfach in einen Tagtraum gefallen. Völlig weggetreten sozusagen.

 

Doch es fühlte sich alles zu echt an, als das es nur ein Traum hätte sein können.

Und auch Felix' nächste Worte bestätigten mir, dass diese zwei Wahnsinnsküsse gerade wirklich passiert waren:

"Ich habe es mir ja immer wirklich gut vorgestellt", sagte er mit belegter Stimme, "doch das hat wirklich alles übertroffen". Ich fühlte Hitze in mir aufsteigen, weil ich so etwas zum ersten Mal hörte. Und mein Herz klopfte plötzlich wieder schneller, weil er anscheinend genau so empfunden hatte wie ich auch.

"Dieses Kompliment", begann ich und musste mich kurz räuspern, "kann ich genau so zurückgeben". Er lächelte mir zu und seine Augen leuchteten so schön, ich konnte mich kaum an ihm satt sehen. Und dann erst kamen seine Worte richtig bei mir an. Er hatte gesagt, dass er es sich immer gut vorgestellt hatte - hieß das etwa, dass auch er immer mal wieder daran gedacht hatte? So wie ich, wenn ich abends im Bett gelegen und Felix durch meine Gedanken gegeistert war? Dann war der Kuss von ihm nicht nur aus einer plötzlichen Laune heraus entstanden?

"Aber vergiss nicht, wer das zuerst gesagt hat", lächelte Felix und kraulte mich sanft im Nacken.

"Keine Sorge", sagte ich und zog ihn dann zu mir, um ihn gleich noch mal zu küssen. Zu meiner Freude ließ er sich sofort darauf ein, und wieder versanken wir völlig in unserem Kuss.

An das weitere Training war heute nicht mehr zu denken gewesen, und so waren wir uns bald einig, dass wir es für heute gut sein ließen. Als ich unter der Dusche stand, musste ich erst mal realisieren, was passiert war.

 

Ich hatte mir das in den letzten Tagen oft erträumt, von ihm geküsst zu werden. Felix war so oft in meinen Gedanken gewesen. Manchmal hatte ich mir beim Training auch extra viel Mühe gegeben, um ihm zu gefallen. Und dann hatte es diese Minuten gegeben, in denen ich mir überhaupt keine Chancen bei ihm ausgerechnet hatte, vor allem, weil ich Violas Schwester war. Ich hatte die Befürchtung, dass er mich nie als etwas anderes als die Zwillingsschwester seiner besten Freundin sehen konnte.

 

Und dann dieser heutige Abend! Unfassbar!

Nach der Dusche machte ich mich besonders schick. Wie gut, dass ich noch ein frisches Outfit in meine Sporttasche gepackt hatte, denn ich hatte vorgehabt, Viola und Felix zu fragen, ob wir noch gemeinsam irgendwohin gehen könnten, in einen Club oder eine Kneipe. Natürlich auch hier mit dem Hintergedanken, Felix noch länger um mich zu haben. Da hatte ich noch nicht gewusst, dass meine Schwester seit neuestem einen Freund hatte und nicht mit zum Training gehen würde.

 

Gott, Viola! Was würde sie zu Felix und mir sagen? Er war ihr bester Freund! Mir war völlig klar, dass alle Möglichkeiten bestanden. Sie könnte es absolut dämlich finden, oder cool. Bitte lass es das letzte sein, dachte ich bei mir.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit dann endlich mit meinem Aussehen zufrieden war und aus den Waschräumen kam, wartete Felix schon auf mich.

"Wow!", sagte er anerkennend, als ich vor ihm stand, und sah mich von oben bis unten an. Ich lachte geschmeichelt auf und ließ nun meinerseits meinen Blick über seinen Körper streifen. Er sah gut aus wie immer, und es kribbelte mich schon wieder so sehr.

"Danke", nahm ich dann sein Kompliment an.

"Bist du zu Fuß hier?", fragte er mich, und ich nickte.

"Gut, ich auch. Ich war vor dem Training noch bei Basti und bin dann den Rest voll hergelaufen", erklärte er. Bastian war Felix' bester männlicher Freund, die beiden kannten sich schon aus der Schulzeit, und ich wusste, dass er in der Nähe des Fitnessstudios wohnte. "Ich begleite dich nach Hause, ja?".

"Das freut mich, aber nötig wäre es nicht. Du weißt ja, dass ich mich nun verteidigen kann", schmunzelte ich.

"Das schon. Aber du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt alleine durch die Nacht laufen lasse!", erboste er sich.

"Okay", ergab ich mich. "Aber das sollte ich mal meinem Jiu Jitsu-Trainer sagen, dass ich noch so schwächlich aussehe, dass ich anscheinend immer noch männlichen Beistand benötige". Nun grinste mich Felix an.

"Tu das! Das muss ja eine Pfeife sein!". Ich zwinkerte ihm zu.

"Das kannst du wohl besser beurteilen, du kennst ihn ja besser als ich", schmunzelte ich.

Und dann gingen wir los. Felix nahm schon nach kurzer Zeit meine Hand in seine, und ich fand, dass diese Spätfrühlingsnacht besonders schön war.

Irgendwann kamen wir an den Strand, obwohl der weder auf dem Weg zu mir noch zu ihm lag. Der Sand war zwar den ganzen Tag von der Sonne aufgeheizt worden, doch inzwischen war er wieder recht kühl, was ich feststellen konnte, als wir uns in den Sand setzten.

 

Eine Weile sagten wir gar nichts. Ich hörte seinen Atem neben mir und die sich am Strand brechenden Wellen vor mir, ansonsten war es ruhig. Es war himmlisch.

Die Sterne über uns funkelten schöner denn je, wie ich feststellte. Sie wussten wohl auch, was das für ein besonderer Abend war. Sie waren so unendlich weit weg, alles dort oben war weit, groß und unerreichbar. Aber hier ganz nah bei mir saß Felix. Obwohl er für mich lange Zeit ebenso unerreichbar gewesen war, hatte sich das heute ins Gegenteil verkehrt.

Einige Zeit später sah mich Felix an.

"Madeleine von Hohenstein...", sagte er und stockte kurz, bevor er weitersprach. "Das ist total verrückt, weißt du das eigentlich?"

"Was meinst du?", fragte ich ihn.

"Wie lange kennen wir uns schon?"

"Über vier Jahre", antwortete ich ihm. Diese Zahl wusste ich so genau, weil ich mir auch schon überlegt hatte, wie verrückt es war, dass ich mich nach dieser Zeit in ihn verliebt hatte. Er schüttelte ungläubig den Kopf.

"Verrückt, sag ich ja. Aber du hast mir echt total den Kopf verdreht!". Sein Geständnis kam so überraschend, dass ich ihn kurz mit offenem Mund anstarrte.

"Du mir auch", fügte ich hinzu, bevor ich ihn wieder küsste.

 

Und wie er mir den Kopf verdreht hatte!

Als wir viel später dann an der letzten Weggabelung zu meiner Straße standen, blieben wir stehen. Wir waren uns auf dem Weg hierher einig gewesen, dass es besser war, wenn man uns nicht zufällig zusammen vor meinem Haus sehen würde. Noch nicht. Es gab da einiges meiner Familie zu erklären, aber nicht heute. Nicht nach diesem Abend.

"Felix...", begann ich, "eigentlich möchte ich dich noch gar nicht gehen lassen". Felix lächelte mich an.

"Ich dich auch nicht", sagte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Warm lag dann seine Hand auf meiner Wange, und die Wärme, die davon ausging, breitete sich blitzschnell in meinem ganzen Körper aus. "Wann werde ich dich wieder sehen?", fragte er mich dann.

"Morgen ist Samstag, Wochenende also. Und außer, dass ich fürs mündliche Abi büffeln möchte, habe ich noch nichts vor", dachte ich laut nach. Nun wurde sein Lächeln breiter, und seine linke Augenbraue rutschte höher.

"Klar, du musst dringend fürs Abi lernen, sonst fällst du am Ende noch durch!". Seine Worte trieften vor Ironie.

"Du weißt doch, dass ich das tun muss. Sonst fühle ich mich nicht gut".

"Ja, das weiß ich", sagte er und schüttelte seinen Kopf dabei. Nun grinste ich ihn an, und er lächelte zurück. Doch dann überlegte ich erneut, wann wir uns sehen könnten.

"Du musst morgen sicher arbeiten, oder?", fragte ich ihn, und er nickte bestätigend.

"Ich muss um 11.00 Uhr im Restaurant sein. Aber es gäbe zwei Möglichkeiten: Zum einen könnten wir morgen früh bei mir zusammen frühstücken, bevor ich dann los muss, oder vielleicht hast du ja auch Lust, noch nach meiner Schicht zu mir zu kommen", fragte er mich.

"Was meinst du mit >oder<?", fragte ich ihn kühn und zwinkerte ihn an. Er grinste.

"Umso besser", sagte er nur und küsste mich wild. Wieder versank ich völlig in meinen Gefühlen und küsste ihn voller Hingabe zurück.

"Wann soll ich bei dir sein?", fragte ich ihn nach dem Kuss, als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte.

"Ich stehe meist so um neun auf, dann gehe ich duschen. Wenn du da schon kommen willst, kannst du ja einfach mit duschen", sagte er augenzwinkernd. Obwohl mein Herz bei seinen Worten wie wild zu schlagen begonnen hatte, versuchte ich, cool zu bleiben.

"Das hättest du wohl gern!", stupste ich ihn an.

"Allerdings!", gab er zu.

"Nichts da!", erwiderte ich forscher, als ich mich fühlte. Allein der Gedanke, gemeinsam mit Felix zu duschen, jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Vermutlich würde ich mich das aber jetzt eh noch nicht trauen.

"Schade eigentlich", sagte er und sah mich mit funkelnden Augen an. Meine Güte, was hatte dieser Mann für Blicke drauf! Ich versuchte, mich wieder auf unser Gespräch zu konzentrieren.

"Dann bin ich um halb zehn bei dir, okay?", fragte ich, und er nickte.

"Das passt gut. So reicht es mir noch, kurz zum Bäcker zu gehen"

"Ich kann doch einfach die Brötchen auf dem Weg zu dir mitbringen!", bot ich mich an, doch er schüttelte den Kopf.

"Du bist mein Gast, und selbstverständlich besorge ich die Brötchen, das ist doch wohl klar!", sagte er liebevoll, aber bestimmt.

"Okay", gab ich mich geschlagen, "aber das nächste mal bin ich dann dran!". Er nickte und kam ganz nah an mich heran.

"Ich freue mich jetzt schon auf dich!", sagte er dann leise und nahm mich in den Arm. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und schlang meine Arme um seinen Körper. Und obwohl ich in diesem schönen Moment sicher nicht an Adam denken wollte, fiel mir doch für einen kurzen Moment ein, wie dieser Kerl mich ausgenutzt hatte. Dieses Angebot mit dem Bäcker hätte er niemals ausgeschlagen. Mehr noch, er hätte das sicher von sich aus gefragt, ob ich nicht die Backwaren mitbringen könne, wenn ich doch eh schon unterwegs war. Selbstverständlich ohne mir dann das Geld dafür zu geben.

 

Was für ein Unterschied zu Felix! Nein, die beiden konnte, durfte man nicht miteinander vergleichen. Das waren Welten, die die beiden trennten. Gott sei Dank!

Ich umklammerte Felix noch ein bisschen fester, verdrängte den dämlichen Adam aus meinen Gedanken und genoss wieder die Nähe zu meinem Freund. Ja, zu meinem Freund! Es war unfassbar, wirklich unglaublich, aber ich war mit Felix zusammen!!! Die ganze Welt hatte sich aus den Angeln gehoben.

"Ich freue mich auch auf dich", sagte ich dann überwältigt zu ihm und wusste nicht mal, ob er mich verstanden hatte.

"Na, dann passen wir doch ganz gut zusammen", sagte er fast ebenso leise wie ich, also hatte er mich verstanden. Ich hob meinen Kopf an und sah ihn an. Ganz nah standen wir voreinander, eigentlich bereit, uns zu verabschieden, aber weder er noch ich machten Anstalten, das zu tun. Warum er mich immer noch festhielt, konnte ich natürlich nur ahnen, aber ich selbst fühlte mich in seiner Nähe einfach zu gut, als dass ich mich nun leicht von ihm hätte trennen können. Auch wenn es jetzt nur für ein paar Stunden war.

"Das finde ich auch", stimmte ich ihm zu und er beugte sich langsam zu mir herunter. Wir küssten uns wieder ganz sanft, und ich verlor natürlich erneut die Fassung. Mein ganzer Kopf war völlig ausgeschaltet, lediglich die Region, die für die Gefühle zuständig war, lief auf Hochtouren.

 

Doch irgendwann schafften wir es dann doch, uns voneinander zu verabschieden, und wie auf Watte schwebte ich nach Hause.

 

Ich war einfach so glücklich. So verdammt glücklich!

In meinem Zimmer legte ich mich, so wie ich war, auf mein Bett. Ich ließ diesen Abend noch mal Revue passieren, an dem das passiert war, was ich mir schon wochenlang gewünscht hatte: Ich war mit Felix zusammen gekommen!

Am nächsten Morgen machte ich mich pünktlich auf zu Felix' Wohnung, in der er zusammen mit seinem Onkel wohnte. Draußen stand sein Motorrad, und ich fragte mich, ob ich wohl auch mal dort drauf sitzen und mit ihm eine schöne Tour machen würde.

Felix begrüßte mich mit einem innigen Kuss und führte mich in die Wohnung, in der die zwei Männer alleine lebten.

 

Ich wusste nicht genau, warum Felix nicht bei seinen Eltern lebte. Gestorben waren sie nicht beide, zumindest über seinen Vater wusste ich, dass er noch lebte. Dass seine Mutter gestorben war, als er 15 Jahre alt war, das hatte ich aus den Gesprächen erfahren können. Was aber mit seinem Vater war, wusste ich nicht. Über ihn sprach er nie.

Gemeinsam ließen wir uns das Frühstück schmecken, dass er für uns vorbereitet hatte. Neben den Backwaren hatte er sich sogar die Mühe gemacht, und ein paar Pfannkuchen ausgebacken.

"Es ist schon irgendwie von Vorteil, wenn man mit einem Koch zusammen ist", sagte ich zwischen zwei Bissen der leckeren Pfannkuchen.

"Wahrscheinlich ist das der einzige Grund, weshalb ich deine erste Wahl war, oder?", fragte mich Felix neckend.

"Klar", neckte ich ihn zurück. "Für so ein gutes Frühstück tue ich wirklich viel". Ich grinste ihn an, und er grinste zurück. Wieder funkelten seine Augen dabei, und ich bekam erneut heftiges Herzflattern. Diese Neckereien mit ihm waren einfach wunderbar!

"Aha", machte Felix. "Was würde ich denn dann für ein gutes Mittagessen bekommen? Oder gar für ein Fünf-Gang-Menü?".

"Gute Frage", antwortete ich. "Das muss ich mir noch überlegen". Ich sah ihn grinsend an, und er schmunzelte ebenfalls.

"Okay. Wenn dir was eingefallen ist, kannst du mir ja Bescheid sagen", meinte er dann.

"Mach ich", gab ich zurück.

 

So plänkelten wir noch eine Weile, bis wir dann mit dem Essen fertig waren. Ich war übervoll, aber es war einfach zu lecker gewesen und die Augen mal wieder größer als mein Magen. Wie gut, dass ich nichts ansetzte. Denn würde man es mir ansehen, was ich alles so vertilgte, dann könnte man mich hier inzwischen in der Gegend herumrollen.

 

Wir brachten dann zusammen die Küche in Ordnung, und weil wir dann noch ein paar Minuten hatten, gingen wir in Felix' Zimmer.

Ich war noch gar nicht so oft hier drin gewesen. Wenn wir uns fürs Training oder in der Disco getroffen hatten, waren wir meistens direkt an den jeweiligen Ort gegangen. Und wenn wir hier mal einen DVD-Abend oder so etwas gemacht hatten, dann waren wir ja eher im Wohnzimmer gewesen als hier. Felix' Onkel war oft außer Haus, deshalb war das auch nie ein Problem gewesen.

 

Deshalb sah ich mich nun auch genau um, als wir uns auf sein Sofa setzten.

"Madeleine, ich weiß, du bist anderes gewohnt. Aber ich komme eigentlich ganz gut zurecht hier", sagte Felix, als er mich in den Arm genommen hatte. Scheinbar hatte er meine Blicke gesehen. Und völlig falsch gedeutet!

"Hör auf, Felix", sagte ich. "Ich finde es gemütlich". In deinen Armen sowieso, fügte ich in Gedanken noch hinzu und kuschelte mich wohlig aufseufzend noch mehr an ihn ran.

"Hey", sagte er, "du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, angelogen zu werden".

"Ja, das weiß ich. Und deshalb war das ja auch nicht gelogen", versicherte ich ihm. "Warum sollte ich das denn tun? Ich kann Lügen genauso wenig leiden wie du!".

"Was denn?", sagte er. "Sind wir uns etwa auch in diesem Punkt einig?".

"Sieht fast so aus, oder?", lachte ich, und dann waren wir kurz still.

"Weißt du, mein Onkel hatte es manchmal echt nicht leicht mit mir", sagte er dann plötzlich und ich sah ihn überrascht an.

"Ich kann mir denken, was du meinst", sagte ich und dachte daran, was ich von Viola wusste. "Damals, als du oft die Schule geschwänzt hast etwa". Er nickte.

"Weißt du auch, wie es dazu gekommen ist?". Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte mir denken, dass Viola in das alles eingeweiht war, aber ich hatte nie so sehr gebohrt, um alles zu erfahren. Oft genug hatte ich das Gefühl, dass sie sich dabei unwohl fühlte, mir etwas über Felix zu erzählen, was etwas Persönliches von ihm betraf, und ich hatte das respektiert. Mehr noch, ihre Loyalität fand ich toll, auch wenn ich natürlich sehr gern mehr über ihren besten Freund, in den ich mich verliebt hatte, erfahren hätte.

"Viola hat nicht viel über dich erzählt, und das ist ja auch richtig", antwortete ich dann. "Alles, was ich weiß, ist, dass deine Mutter gestorben ist, als du 15 warst, dein Vater zwar noch lebt, du aber keinen Kontakt zu ihm hast und du deshalb hier bei deinem Onkel lebst".

"Das ist ja wirklich etwas dürftig", stellte er fest. "Viola hat echt nicht mehr erzählt?"

"Nein, nie. Dabei hätte ich sie liebend gern noch mehr über dich ausgequetscht. Ich meine, wann hat man denn schon so einen Vorteil, dass man sich in den besten Freund seiner Schwester verknallt?". Ich schluckte kurz und fuhr mir nervös durch meine Haare. Ich hatte ihm jetzt praktisch gesagt, mich in ihn verknallt zu haben. Ihm direkt. Oh Gott!

Felix sah mich an und kam mir ganz nahe.

"Bei mir war sie genau so erbarmungslos", sagte er dann, und ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut. Erwartungsvoll öffnete ich meine Lippen, lud ihn so ein, mich zu küssen.

"Da sollten wir echt ein ernstes Wort mit ihr reden", sagte ich krächzend.

"Sehe ich auch so", meinte er, bevor er mich dann küsste.

Als wir uns wieder voneinander lösten, hatte ich das Gefühl, nur noch aus Pudding zu bestehen.

"Ich erzähle dir das alles mal noch", sagte er und spielte wieder auf das Thema Eltern an. "Aber ich muss leider gleich los".

"Ich weiß", sagte ich zittrig und wollte ihn eigentlich gar nicht gehen lassen. Wie blöd war das denn, dass er samstags arbeiten musste? Ausgerechnet da, wenn ich mal ein bisschen mehr Zeit hatte.

"Du zitterst ja", stellte er fest.

"Daran bist du schuld", gab ich sofort zurück.

"Ach ja? Wie das?", hakte er nach und ich sah ihm kopfschüttelnd in seine wunderbaren Bernsteinaugen.

"Tu doch nicht so", rügte ich ihn liebevoll und küsste ihn einfach noch mal.

Kurz darauf war es dann so weit: Felix musste zur Arbeit. Wir verabschiedeten uns vor dem Haus.

"Wir sehen uns heute Abend, oder?", hakte er nach.

"Ja. Soll ich dann einfach hier her kommen?".

"Ich denke, das wird das Beste sein. Ich whatsappe dir, wenn ich hier bin, dann kann ich mich in der Zeit, wenn du herfährst, noch ein bisschen hübsch machen". Er zwinkerte mir dabei zu und ich lachte.

"Alles klar. Viel Spaß heute beim Kochen", wünschte ich ihm.

"Und dir viel Spaß beim Lernen", schmunzelte er.

"Haha", machte ich, bevor er mir einen letzten Kuss gab, dann seine Lederjacke anzog und sich seinen Helm aufsetzte.

Felix sah mich dann noch mal an, bevor er auf seiner Maschine davon brauste. Nur zwölf Stunden, Madeleine, beruhigte ich mich selbst, weil ich jetzt schon dieses verräterische Ziehen in der Magengegend verspürte, das mir zeigte, dass ich ihn bis heute Abend sicher sehr vermissen würde. Verrückt!

Zu Hause hatte ich zuerst versucht, mich tatsächlich auf meine mündlichen Abi-Prüfungen vorzubereiten, aber es war eigentlich zu erwarten gewesen, dass das heute nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Ich hatte mich überhaupt nicht konzentrieren können, wusste plötzlich die einfachsten Sachen nicht mehr, und ich war klug genug, meine Bücher auf die Seite zu schieben und mich nicht verrückt zu machen.

 

Nicht heute. Punkt.

 

Stattdessen griff ich nach meiner Gitarre. Und spielte einfach das erste Lied, was mir in den Sinn kam.

Notenbild ist verlinkt und führt zu einem Video.

Achtung: Durch den Klick auf das Bild kommt ihr auf eine andere Homepage!

Nur kurz darauf klopfte es an meine Tür, und auf mein "Herein!" trat Viola ein. Ich wollte schon mein Spiel unterbrechen, doch sie sagte sofort:

"Bitte spiel weiter!". Und auch wenn ich nicht oft vor anderen spielte, tat ich ihr nun den Gefallen und spielte das Lied zu Ende.

"Maddy, das ist so toll!", sagte Viola dann, als ich geendet hatte.

"Danke", sagte ich, obwohl ich immer noch Schwierigkeiten damit hatte, ein Lob bezüglich meiner Gitarrenfähigkeiten anzunehmen. Ich stellte meine Gitarre wieder zurück auf ihren Ständer.

"Was denn? Kein Protest, weil ich gesagt habe, dass sich das toll angehört hat?", frotzelte meine Schwester, weil sie scheinbar schon auf eine entsprechende Antwort meinerseits gewartet hatte.

"Nö. Heute nicht", grinste ich.

"Hast du es endlich mal kapiert, dass du gut spielen kannst?", hakte sie nach.

"Nö. Noch lange nicht", gab ich genauso lakonisch wie davor Antwort und grinste immer noch. Viola sah mich mit schräg gelegtem Kopf an.

"Irgendetwas ist anders heute", meinte sie dann und ihr prüfender Blick ruhte auf meinem Gesicht.

Wie recht sie damit hatte, wusste sie nicht. Und genau das war das Problem. Mir schossen sofort zig Gründe in den Kopf, weshalb ich ihr sofort sagen sollte, dass ich mit ihrem besten Freund zusammen war. Und mindestens genauso viele, weshalb so ein Geständnis zu einem Problem werden konnte.

 

Verdammt!

 

Doch sie musste es wissen. Schnell. Von so einer Geheimniskrämerei hielten weder Felix noch ich was. Und sie würde es bemerken, und das bestimmt bald. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie erführe, dass wir ihr so etwas verheimlicht hatten? Wie würde ich da reagieren? Ich wäre wohl sauer. Und sie wäre es auch, und das absolut zu recht.

"Viola...", begann ich stockend. Ich war auf dieses Gespräch absolut unvorbereitet, das lähmte mich. Wie sollte ich ihr so etwas sagen?

"Ja?", fragte sie und sah mich an. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, sie war gut drauf heute. Klar, auch sie hatte einen Tag mit ihrem Freund verbracht, mit dem sie auch erst seit einer Woche zusammen war. Sie war frisch verliebt. So wie ich. Und auch sie hatte mich schnell eingeweiht, dass sie einen Freund hatte. Mir fiel ein, dass es für sie sicher auch nicht leicht gewesen war, mir zu sagen, mit wem sie zusammen gekommen war. Volker Faber, der Kumpel - oder eher Ex-Kumpel - meines Ex Adam. Und ich hatte ihr nun zu sagen, dass ich mich in ihren besten Freund verliebt hatte. Himmel!

"Ich muss dir was Wichtiges sagen", sagte ich dann.

"Wie? Diesen Satz hast du doch gestern noch von mir zu hören bekommen", lachte sie. "Und ich dachte schon, dass du mich jetzt zur Schnecke machen möchtest, weil ich mit Volker zusammen bin".

"Nein", sagte ich. "Ich kann ihm da immer noch nicht zu hundert Prozent vertrauen, da bin ich ehrlich. Dass jetzt meine eigene Schwester mit einem ehemaligen Kumpel von Adam zusammen ist, daran muss ich mich noch gewöhnen".

"Maddy!", sagte Viola und verdrehte die Augen. "Ich bin doch nicht blöd und weiß, was ich tue!".

"Ja, das glaube ich dir ja auch. Aber wenn man verliebt ist...". Ich ließ den Satz offen, doch sie wusste auch so, was ich sagen wollte. Sie lachte auf.

"Was ist dann? Wird man dann blind? Dumm? Unfähig, noch einen klaren Gedanken fassen zu können?". Sie hatte das im Scherz gesagt, aber gerade den letzten Satz könnte ich im Moment eigentlich bestätigen. Denn meine Gedanken waren von Felix besetzt, alles andere schien sich da hinter einem dichten Nebel zu befinden.

"Also, ich bin verliebt, und ich habe schon Schwierigkeiten, meine Gedanken zu ordnen", platzte es aus mir heraus und Viola bekam große Augen.

"Du bist auch verliebt, Maddy?", fragte sie mich lächelnd. Ich nickte nur, denn ich wusste, dass ihr gleich nicht mehr nach Lachen sein würde. "Wie heißt er? Wie habt ihr euch kennengelernt? Wo wohnt er? Und seid ihr fest zusammen? Ich will alles wissen!", lachte sie verschwörerisch, und mein Herz klopfte ängstlich an meine Rippen.

"Du kennst ihn...", sagte ich zaghaft. Und wie gut du ihn kennst, dachte ich bei mir.

"Wer ist es?", hakte sie nach. "Herrgott, jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!".

"Bitte, flippe jetzt nicht aus, wenn ich dir das sage, ja? Ich bin sicher, dass wir das irgendwie hinbekommen. Aber ich konnte es nicht aufhalten, es ging einfach nicht...". Jetzt wurde sie ernster.

"Meine Güte, du machst es ja spannend! Jetzt aber raus mit der Sprache: Wer ist der Kerl?"

"Felix", sagte ich dann endlich.

Dieses eine Wort hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Viola klappte der Mund auf, sie starrte mich an, als stünde sie vor einer lila Kuh. Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wollte sich noch mal vergewissern, denn sie fragte:

"Wirklich Felix?".

"Ja, Felix", bestätigte ich. "Dein Felix".

"Wie lange schon?", fragte sie.

"Seit gestern Abend".

"Ernsthaft?", fragte sie und ich nickte. Sie dachte kurz nach, doch zu meiner Verblüffung kehrte dann das Lächeln auf ihrem Gesicht zurück. "Da bin ich einmal nicht im Training dabei und ihr kommt zusammen? Unfassbar!".

"Unfassbar trifft es ziemlich genau", murmelte ich mehr zu mir selbst denn zu ihr.

"Bist du richtig in ihn verknallt?", fragte sie indiskret nach.

"Was für eine blöde Frage!", schüttelte ich missbilligend den Kopf. "Ich frag dich doch auch nicht, ob du in Volker verknallt bist!".

"Warum eigentlich nicht? Du hast mich schließlich oft genug gesehen, wenn ich ganz locker mit einem Typen rumgeknutscht habe. Und in die war ich nie verknallt".

"Das stimmt allerdings. Deshalb war das gestern für mich auch irgendwie total ungewohnt, dich so verliebt mit Volker zu sehen. Du hast so selig gelächelt, das hatte ich davor nie an dir gesehen", zog ich sie auf.

"Red doch keinen Stuss", rechtfertigte sie sich, doch dann bekam sie ihr Grinsen zurück. "Obwohl - ich glaube, du hast recht. Was Volker mit mir macht, passt eigentlich gar nicht zu mir, oder?". Ich lächelte meine Schwester an.

"Und ob das zu dir passt. Das Glück steht dir sehr! Du siehst auch heute einfach umwerfend aus!".

"Dankeschön! Aber zurück zu Felix und dir. Ich muss wissen, ob das für dich nur ein Spiel ist oder ob du Felix wirklich magst. Denn ich weiß, dass er dich wirklich mag, und ich lasse es nicht zu, dass er verletzt wird, klar?". Ich sah meine Schwester fragend an.

"Wie, du weißt, dass er mich mag? Habt ihr über mich gesprochen?". Nun überlegte Viola kurz angestrengt, seufzte dann kaum hörbar auf und sprach:

"Ja, das haben wir. Auch wenn er mir jetzt vielleicht den Kopf runterreißen wird, weil ich geplappert habe, aber das hier ist einfach zu wichtig. Du hast so lange negativ über ihn gesprochen, dann wurde es zwar besser, aber ich hätte niemals für möglich gehalten, dass du jemals mehr für ihn empfinden könntest. Ich habe ihm sogar gesagt, dass er sich eher wenig Hoffnung machen soll, denn ich hätte es wirklich nie für möglich gehalten, dass sich deine Gefühle für ihn je ändern würden. Deshalb ist es für mich so wichtig, zu erfahren, was du da fühlst". Sie sah mich jetzt tatsächlich ganz ernst an.

"Viola...", druckste ich zuerst herum, weil es mir nicht leicht fiel, vor Viola, die die beste Freundin von Felix war, meine Gefühle darzulegen. Da konnte sie noch so meine Schwester sein. Vielleicht machte es das sogar noch schwerer.

"Gott, Maddy! Jetzt rück' schon mit der Sprache raus! Du musst doch wissen, was du für Felix fühlst! Wie gesagt, ich lasse es nicht zu, dass du dir da nur ein bisschen Bestätigung holst oder sonst was und ihn dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel!".

"Das traust du mir zu?", wollte ich schockiert wissen. Das war ja wirklich nett! Das bekam ich von der eigenen Schwester gesagt!

"Eigentlich überhaupt nicht", sagte sie dann aber.

"Also!", trumpfte ich auf. "Dann kannst du dir die Antwort doch denken, oder?".

"Dann magst du ihn? So wirklich?". Sie schaute mich abwartend an.

"Viola, ich habe mich total in ihn verknallt, okay?", gestand ich dann.

Da zog mich Viola in eine innige Umarmung.

"Das ist echt irre", sagte sie dann und lachte auf.

"Wem sagst du das", schmunzelte ich und löste mich wieder von ihr.

"Aber nur, damit du das weißt: Ich bin seine beste Freundin, und ich möchte mich auch in Zukunft mit ihm treffen können, klar?".

"Natürlich! Wir bekommen das hin, das habe ich doch schon gesagt! Irgendwie muss es ja gehen!", erklärte ich schnell.

"Dann wäre das ja geklärt", nickte meine Schwester zufrieden. "Aber dass du auch endlich gemerkt hast, was für ein toller Kerl Felix ist, freut mich richtig".

"Auch wenn das ein bisschen länger als bei dir gedauert hat", sagte ich .

"Besser spät als nie!", meinte sie. "Wann seht ihr euch wieder? Heute muss er arbeiten, das weiß ich".

"Ich gehe danach noch zu ihm", erklärte ich ihr. "Und du und Volker?".

"Morgen erst. Er ist heute in Sachen Familiengeburtstag unterwegs. Sag mal, geht es dir auch so, dass dir Stunden plötzlich wie Tage vorkommen?".

"Und Tage wie Wochen, Minuten wie Stunden - oh ja, und wie ich das kenne!", lachte ich. Sie vermisste ihren Freund wohl auch schon so sehr, und gemeinsam verfielen wir in gegenseitiges Trösten und dann wieder Lachen, weil wir nun beide verliebt waren. Es war unglaublich, dass wir fast gleichzeitig einen Freund gefunden hatten. Kurz darauf musste sie jedoch gehen, denn sie hatte Thomas versprochen, hinter der Bar der >Schinderei< auszuhelfen.

 

Ich nahm ihr noch das Versprechen ab, noch nichts zu unserer Familie zu sagen, weil ich das selbst machen wollte. Was sie verstand. Und ich war selig, dass die für mich größte Hürde schon genommen war. Ich hatte die größten Bedenken bei meiner Schwester gehabt, aber ihre gute Reaktion war jetzt wirklich klasse gewesen.

Sehr viel später, nämlich erst kurz vor 23.00 Uhr, konnte ich meinen Freund dann wieder in die Arme schließen. Felix hatte mir schon geschrieben, als er noch im Restaurant gewesen und kurz davor war, nach Hause zu fahren.

Da er dann jedoch von seinem Chef aufgehalten worden war, kamen wir fast gleichzeitig bei ihm an.

"Jetzt konnte ich noch gar nicht duschen", entschuldigte er sich. "Das würde ich jetzt gleich mal machen, damit ich den Küchengestank los werde. Wie ist es: Möchtest du nicht doch mitmachen?", fragte er und grinste mich spitzbübisch an.

"Nicht nötig, ich habe schon geduscht", sagte ich keck, aber mit Herzklopfen.

"Schade. Dann müssen wir das wohl verschieben", zwinkerte er. "Ich bin gleich wieder da. Mach es dir gemütlich, Süße!".

Es dauerte nicht lange, bis er dann wieder kam.

 

Und mir verschlug es die Sprache.

Er hatte sich nur ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, und somit hatte ich nun einen freien Blick auf seinen muskulösen Oberkörper. Ich vergaß schon fast zu atmen.

 

Mein Freund war sexy. Eindeutig!

Seine Wirkung war kolossal. Während er mich in seine Arme zog und küsste, schwirrten die unterschiedlichsten Gedanken durch meinen Kopf. Keiner davon war jugendfrei.

Nach diesem Kuss umarmte ich ihn fest und streichelte ihn weiter. Felix lachte leise auf.

"Hey", sagte er, "kaum stehe ich mal halbnackt vor dir, wirst du zur Wildkatze".

"Das bin ich doch immer", sagte ich kokett und hoffte, dass er nicht zu sehr bemerkte, wie aufgewühlt ich in Wirklichkeit war. Seine nackte Haut zu spüren brachte praktisch alles in mir in Wallung.

"Gut zu wissen", meinte er, hob mich dann hoch, als wäre ich so leicht wie eine Feder und trug mich zum Bett. Dort küsste er mich leidenschaftlich, und ich ließ mich zu gern davon mitreißen.

"Weißt du", sagte er nach dem Kuss, "es ist total unfair, dass ich so", er blickte an sich herunter, "vor dir liege, während du noch komplett angezogen bist".

"Wieso ist das unfair?", fragte ich. "Ich finde das eigentlich ziemlich passend so".

"Klar", gab er trocken von sich. "Aber du könntest mir ruhig auch ein bisschen was gönnen".

"Könnte ich, ja. Aber will ich das auch? Ich will ja nicht, dass du dann plötzlich auf Ideen kommst, zu denen ich heute noch nicht bereit bin". Felix stutzte und sah mich dann forschend an.

"Madeleine", sagte er dann ernst, "du kannst mir jederzeit eine runterhauen, wenn ich was mache, was du nicht willst. Ich hoffe doch, dass du das weißt!".

"Ich könnte es dir auch einfach sagen, wenn mir was nicht passt", sagte ich und streichelte ihm über seine Wange, die ich mit Sicherheit niemals schlagen würde. Aber seine Worte hatten mir wieder mal gezeigt, dass ich ihm vertrauen konnte. Auch in dieser Sache.

"Das geht natürlich auch!", lächelte er. "Aber versprich mir, dass du das auch machst, ja? Ich kann leider keine Gedanken lesen. Und ich möchte auch nicht forschen müssen, ob ein gesagtes >Ja< ein gemeintes >Nein< ist oder umgekehrt. Ich bin dann doch mehr ein Freund klarer Worte". Ja, das wusste ich ja bereits. Und das war eine von vielen seiner Eigenschaften, die ich an ihm schätzte.

"Also muss ich aufhören, darauf zu hoffen, du könntest mir meine Wünsche einfach von den Augen ablesen?", fragte ich grinsend.

"Sieht fast so aus. Tut mir leid", sagte er überhaupt nicht reuevoll.

"Das heißt, vor Weihnachten muss ich dir einen Wunschzettel geben, auf dem meine Wünsche notiert sind?"

"Nicht sonderlich romantisch, was?", sagte er. "Es funktioniert aber auch, wenn du im Gespräch einfließen lässt, was du gerne hättest. Manchmal kann ich mir so etwas sogar merken". Ich schmunzelte.

"Okay. Wenn ich also eine schöne Halskette gesehen habe, zerre ich dich wie zufällig vor das Schaufenster und sage dann: >Felix, diese Kette würde mir bestimmt gut stehen!<, so dass du dann weißt, dass du mir die schenken sollst". Felix lachte auf.

"Genau so", sagte er dann. "Und wenn ich sage, >Madeleine, ich würde dich ganz gerne ohne Shirt sehen<, dann weißt du auch, was du tun kannst, um mich glücklich zu machen". Seine Augen blitzten bei seinen Worten auf und er sah mir ganz tief in die Augen.

"Und du bleibst wirklich anständig?", hakte ich nach.

"Hey!", sagte er, "Wenn du mir nicht glauben kannst, wem dann?".

"Schon gut!", lachte ich auf und versuchte so, meine Nervosität zu verbergen. Er wusste ja noch nicht alles... "Felix, es ist so, also... Du musst wissen, dass ich noch nie... also, ich bin noch... Und ich möchte das nicht einfach so nebenbei...". Ich kam total ins Stottern und brach dann frustriert ab. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es so schwer war, seinem Freund zu sagen, dass man noch Jungfrau war. Felix sah mich zuerst abwartend an, dann wurden seine Augen größer, und er hatte wohl auch so verstanden, was ich ihm hatte sagen wollen.

"Madeleine!", sagte er dann leise. "Ich hatte keine Ahnung, glaube mir!".

"Klar. Woher hättest du das denn auch wissen sollen?", sagte ich leise. Er streichelte ganz zart meine Wange und sagte dann:

"Du bestimmst das Tempo, das ist keine Frage. Ich habe dir vorhin schon gesagt, dass ich dich niemals zu was zwingen würde".

"Ich weiß", sagte ich. Und dann stellte ich mir vor, wie es wäre, Haut an Haut neben ihm zu liegen. Ein aufregendes Kribbeln überflutete mich bei diesem Gedanken und ich bekam den Wunsch, genau das spüren zu wollen. Ich würde das Shirt ausziehen. Nicht nur für ihn, sondern für uns beide.

 

Obwohl ich mich zur Ruhe rief, zitterten meine Hände, als ich mich langsam für ihn auszog. Felix sah mich an, und ich wusste nicht, ob er bemerkte, dass ich so aufgeregt war oder er die ganze Sache einfach beschleunigen wollte, aber er half mir irgendwann und zog mir mein Shirt über den Kopf. Er ließ es neben das Bett fallen und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Dann beugte er sich langsam zu mir und küsste die Haut, die sich über meinem Schlüsselbein spannte.

"Du bist einfach wunderschön, Madeleine", sagte er leise. Wohlig kuschelte ich mich mit dem Rücken an ihn und genoss seine Zärtlichkeiten. Ich entspannte mich unter seinen Küssen, hielt seine Hand fest und spürte, wie er ganz zart meine Schulter küsste.

Wir schmusten noch eine ganze Weile, doch irgendwann fiel mir das Gespräch mit meiner Schwester wieder ein.

"Übrigens: Viola weiß Bescheid", sagte ich deshalb zu ihm.

"Und? Wie hat sie reagiert?", fragte Felix nach und sah mich gespannt an.

"Sie hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass sie auch weiterhin Anspruch auf dich hat", sagte ich grinsend und Felix schmunzelte.

"Das kann ich mir vorstellen", sagte er. "Und sonst nichts?"

"Sie freut sich für uns. Kein Wunder, du hattest sie ja praktisch schon vorbereitet", spielte ich darauf an, dass Viola gewusst hatte, dass Felix in mich verliebt war. Nun grinste er.

"Hey, was hätte ich machen sollen! Sie hat mir verliebtem Gockel einfach angesehen, was los war! Sie hatte mich direkt darauf angesprochen". Er sah mich an und in seine Augen trat ein Ausdruck, von dem ich dachte, er existiere nur in Büchern. Es war Wahnsinn, aber ich sah ihm an, was er für mich empfand. Ich dachte immer, das nur ich so leicht zu durchschauen wäre, aber ich musste feststellen, dass auch ich in Felix' Gesicht lesen konnte wie in einem offenen Buch. Nur eine Frage drängte sich mir auf, die ich gerne wissen wollte. Ich überlegte, wie ich die Frage stellen sollte, doch dann dachte ich daran, dass Felix sicher auch einfach fragen würde, ohne sich lange darüber Gedanken zu machen, welche Worte er wie stellen sollte.

"Felix?", fragte ich dann, um noch ein bisschen Zeit zu gewinnen.

"Hm?", machte er und ich holte noch einmal tief Luft.

"Wann ist es bei dir passiert?".

"Was meinst du? Wann mir aufgefallen ist, dass ich davor einfach nur blind durch die Welt gelatscht bin, weil ich nicht gesehen habe, was da für ein tolles Mädchen direkt vor meinen Augen herumspaziert ist?", schmunzelte er und ich lachte auf. Er war so unkompliziert, das tat wirklich gut.

"Ja", sagte ich und wieder beschleunigte sich mein Herzschlag, als ich gespannt auf seine Antwort wartete.

"Das kann ich dir ganz genau sagen. Es war an dem Abend, als du mein Prüfungsessen zur Probe gegessen hast". Nun machte ich große Augen.

"Das ist nicht dein ernst!", sagte ich.

"Doch, wirklich!", bestätigte er mir. Ich lachte auf.

"Wie bei mir!", sagte ich dann, und nun war er es, der große Augen machte.

"Wie bitte? Das kann doch nicht sein! Du warst doch danach noch mit diesem Idioten zusammen, was mir, nebenbei bemerkt, echt den Boden unter den Füßen weggezogen hatte!".

"Das tut mir leid", sagte ich ehrlich und gab ihm einen Kuss.

"Na, so leicht ist deine Schuld natürlich nicht beglichen, das ist dir ja hoffentlich klar!", sagte Felix danach. "Da kommen noch viele Küsse und Streicheleinheiten zur Strafe auf dich zu".

"Oh, wenn das so ist, muss ich mir immer mal wieder was Böses einfallen lassen", grinste ich ihn an.

"Das kommt nicht in Frage", sagte er. "Sonst muss ich mir was anderes als Strafe überlegen".

"Aber sicher doch", sagte ich kopfschüttelnd.

Dann wurde Felix wieder ernster.

"Madeleine, was werden deine Eltern dazu sagen, dass du mit mir zusammen bist?". Ich schluckte. Ja, das war eine gute Frage.

"Keine Ahnung", musste ich zugeben. "Aber es ist egal...".

"Halt", sagte er sanft und legte mir einen Finger auf meine Lippen. "Ich weiß, was du jetzt sagen wolltest, aber überlege dir das lieber noch mal. Ich weiß nämlich, dass dir deine Familie wichtig ist, und wenn deine Eltern nicht mit mir einverstanden wären, wäre das für dich alles andere als leicht". Ich schob seinen Finger auf die Seite.

"Mag sein", erboste ich mich dann. "Aber du glaubst doch nicht, dass das etwas ändern würde, oder? Ich bin erwachsen und entscheide selbst, mit wem ich zusammen bin". Ich schüttelte leicht den Kopf, um meine Worte zu unterstreichen. Das wäre ja noch schöner! Ich ließ mir Felix nicht mehr nehmen, so viel stand fest. Die einzige Person, die außer mir diese Beziehung wieder beenden könnte war er selbst. Sonst niemand!

"Ich freue mich, dass du das sagst, ehrlich! Aber - unterschätze das nicht. Das könnte ganz schön hart werden".

"Warten wir doch erst mal ab, was sie sagen werden", beschwichtigte ich, obwohl ich tatsächlich selbst nicht sicher war, wie meine Eltern reagieren würden. Ja, ihre Einstellung zu ihm hatte sich entspannt. Auch bei ihnen war es endlich angekommen, dass der jetzige Felix nicht mehr viel mit dem alten von vor vier Jahren gemeinsam hatte. Und doch - wenn ich jetzt mit ihm zusammen war, was würden sie wohl sagen? Ich sah meinen Freund an, der jetzt ziemlich gedankenverloren aussah. Sein Blick richtete sich auf irgendeinen entfernten Punkt, und natürlich hätte ich gerne gewusst, was er jetzt dachte.

"Alles - alles okay bei dir?", fragte ich ihn leise. Nun wurde sein Blick wieder fest und er sah mich an.

"Ja, entschuldige bitte. Ich habe gerade an meinen Vater gedacht". Nun horchte ich auf. Von seinem Vater wusste ich nichts. Nur, dass er und Felix keinen Kontakt zueinander hatten.

"Wo lebt er eigentlich?", fragte ich.

"Keine Ahnung", antwortete er gleichgültig. "Und es ist mir auch egal. Wahrscheinlich sitzt er gerade irgendwo in Syrien oder sonst wo, wo Krieg ist". Ich sah ihn überrascht an.

"Was?", hakte ich nach.

"Er ist Soldat", erklärte Felix knapp.

"War er das schon immer?".

"Ja, auch schon, als ich klein war. Er hat immer so getan, als wäre es sein absoluter Traumberuf. Meine Mutter fand es grässlich, ich ebenso. Hat ihn aber nicht gestört". Ich begann, mir ein Bild von Felix' Familie zu machen.

"Möchtest du mir von deinen Eltern erzählen?", fragte ich ihn dann, und Felix nickte.

 

Und dann begann er von seiner Kindheit und seinen Eltern Dora und John Maler zu erzählen. Ich erfuhr von einer liebevollen Mutter, die ihr einziges Kind sehr geliebt hatte und von einem Vater, dessen Liebe seinem Beruf galt und nicht seiner Familie. Von Ängsten, die Dora und Felix gehabt hatten, jedes Mal wieder, wenn John wieder in ein Kriegsgebiet gerufen wurde. Davon, dass Felix seinen Vater immer wieder gebeten hatte, sich einen anderen Beruf zu suchen, und der immer geantwortet hatte: "Ich verspreche dir, bald etwas Neues zu suchen", und er dieses Versprechen niemals eingehalten hatte. Davon, dass das der Grund war, weshalb Felix bis heute falsche Versprechungen und Lügen verabscheute. Vom Tod seiner Mutter, als er 15 Jahre alt und gerade in den Ferien in einem Zeltlager gewesen war. Dora wollte die freien Tage nutzen und einen Onkel in Tunesien besuchen, den sie lange nicht gesehen hatte und dann von einem Skorpion gestochen worden war. Davon, dass John zur Beerdigung seiner Frau angereist gekommen war, noch drei Wochen blieb und dann entschloss, wieder zu gehen und Felix bei Doras Bruder unterzubringen. Felix erzählte, dass damals etwas in ihm explodiert wäre, es da passiert wäre, dass sein Leben aus der Bahn gelaufen war. Er schwänzte die Schule, schloss sich einer Bande von Kleinkriminellen an, war tagelang nicht zu Hause und ging keiner Schlägerei aus dem Weg. Sein Onkel hatte mit allen Mitteln versucht, ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

"Irgendwann hat er mich dann zum Jiu Jitsu angemeldet", sagte Felix. "Ich solle dort meine Aggressionen abbauen, meinte er. Ich hielt das zuerst für dummes Zeug und wollte eigentlich gar nicht hingehen, aber er hatte mich persönlich hingebracht und blieb die ganze Stunde dabei, ich hatte also keine Chance das zu schwänzen. Es war unglaublich: Aber das half mir tatsächlich. Während des Trainings konnte ich meine ganze Wut, die ich für meinen Vater empfand, einfach wegschlagen. So schaffte ich es, mich von meinen sogenannten Freunden zu lösen. Ich wechselte die Schule und traf dort Bastian und kurz darauf auch Viola, dann half mir mein Onkel, die Ausbildungsstelle zu bekommen. Durch seine gastronomischen Beziehungen habe ich dann diese super Stelle ergattert. Ja, meinem Onkel und Basti und Viola ist es zu verdanken, dass ich jetzt nicht auf der Straße oder im Knast lebe". Ich streichelte meinen Freund und musste das alles erst mal verdauen. Felix sah mich forschend an.

"Deute ich deine Schweigsamkeit richtig, dass du dir jetzt überlegst, ob du dich von so einem Typen wie mir lieber gleich oder erst später trennen sollst?".

"Spinnst du?", fragte ich und sah ihn böse an. "Ich bewundere dich dafür, wie du dein Leben wieder in die Hand genommen hast".

"Nicht mir gilt die Bewunderung, sondern meinem Onkel, der wirklich zu mir stand, egal mit was für katastrophalen Neuigkeiten ich um die Ecke kam. Und dann Bastian und Viola, die mir ihre Freundschaft anboten, ohne groß Fragen zu stellen. Das ist bewundernswert".

"Ja, das ist es auch. Aber du selbst hast auch viel dafür tun müssen. Die drei hätten keine Chance gehabt, wenn du das nicht selbst hättest ändern wollen". Felix dachte über meine Worte nach und nickte dann.

"Vielleicht hast du recht. Weißt du, einmal habe ich an meine Mutter gedacht und daran, was sie wohl denken würde, wenn sie mich sehen könnte. Damals war ich mit meiner Bande gerade dabei, in einer Tiefgarage ein Auto zu knacken. Ich weiß noch, wie ich alles stehen und liegen gelassen habe und einfach gegangen bin. Was mir natürlich Ärger in der Bande eingebracht hat, klar. Und weil das damals so etwas wie meine Familie war, bin ich auch weiterhin dabei geblieben und habe mich damit getröstet, dass meine Mutter das ja nicht mehr sehen muss, was ich so trieb. Das schlechte Gewissen blieb trotzdem. Vielleicht hat mir das dann auch geholfen, da wieder rauszukommen".

"Bestimmt", stimmte ich zu.

Inzwischen war die halbe Nacht schon vorbei, und sowohl Felix als auch mir fielen die Augen zu. Ich kuschelte mich an meinen Schatz und er nahm mich in den Arm. Es hatte mich ihm noch näher gebracht, dass ich nun noch mehr über ihn wusste. Ich war schon kurz vor dem Einschlafen, als ich noch zu ihm sagte:

"Felix, ich hab dich lieb". Ich spürte, wie er sich bewegte, hörte das leise rascheln des Kopfkissens und spürte dann, wie er mir einen Kuss auf mein Haar gab. Dann sagte er:

"Und ich hab dich lieb".

Am nächsten Wochenende gingen wir alle zusammen aus. Das Prohibition war heute unser Ziel. Felix hatte einen freien Abend, und ich freute mich auf einen spaßigen Abend mit der Clique. Meine Schwester und ihr Volker waren ebenso mit von der Partie wie auch Felix' Freund Bastian. Die Musik hämmerte aus den Bässen, ließ mich vibrieren und Adrenalin durch meine Adern pumpen. Ich fühlte mich absolut gut!

Bastian war ein total netter Kerl. Er war ein Rocker, spielte in einer Band Schlagzeug, liebte sein Motorrad und die Ausfahrten, die er zusammen mit Felix und noch einem dritten Kumpel, Oskar, regelmäßig unternahm. Er arbeitete als KFZ-Mechaniker in einer Werkstatt in Sunset Valley und schraubte sowohl dort als auch in seiner Freizeit am liebsten an alten Autos und Motorrädern herum. Jetzt, nachdem ich die Geschichte von Felix wusste, stieg er in meiner Achtung noch mehr an. Es schien, als wäre er ein absolut loyaler Freund.

Meine Schwester und ihr Volker verzogen sich immer mal wieder in ein ruhiges Eckchen, um dort ungestört schmusen zu können.

Doch die meiste Zeit powerten wir uns auf der Tanzfläche aus.

Das hieß, wenn Felix und ich gerade nicht aneinanderhingen.

Es dämmerte bereits wieder, als mich Felix vor meiner Tür absetzte.

"Willst du noch mit hoch kommen?", fragte ich ihn, und er sah mich forschend an.

"Gern", sagte er. "Aber deine Eltern..."

"... müssen eh bald von dir erfahren", vollendete ich seinen Satz. "Ich spiele hier kein komisches Versteckspiel".

"Also bevorzugst du die Holzhammermethode?", lachte er leise auf und ich schmunzelte ebenso.

Im Haus war es ganz ruhig, und wir waren gerade mal in den Flur gekommen, als mich Felix an sich zog und küsste. Damit schaltete sich mein Verstand mal wieder komplett aus.

Als er dann begann, meine Wangen und meinen Hals zu küssen, war es restlos um mich geschehen. Mein Herz pochte schon beinahe schmerzhaft gegen meine Rippen, und ich hatte das Gefühl, überhaupt keine Knochen mehr zu haben. Ich war Wackelpudding.

"Du machst mich... schon wieder ganz weich", gestand ich ihm leise.

"Hm", machte er und seine Lippen strichen sanft meinen Hals hinunter. "Ich sollte dich vielleicht Creamy nennen. Denn eine Creme ist weich und lecker, so wie du".

"Untersteh dich", wollte ich protestieren, doch der Protest ging in einem wohligen aufseufzen unter, das meiner Kehle entglitt. Oh Gott, war das gut! Auch ich begann jetzt meine Hände bei ihm auf Wanderschaft zu schicken. Meine rechte Hand schlüpfte unter sein Hemd und streichelte dort seinen muskulösen Rücken und seine weiche Haut.

Plötzlich hörte ich, wie jemand die Treppe nach unten kam, und dann schon kurz darauf die überraschten Worte meines Vaters:

"Was ist denn hier los?". Felix und ich fuhren auseinander und standen ertappt vor meinem Daddy, der nur mit einer Unterhose bekleidet am Treppenabsatz stand und entgeistert auf uns blickte.

Die Situation war an Peinlichkeit fast nicht zu überbieten.

"Papa!", sagte ich und konnte ihn dabei kaum ansehen. Und wie mussten sich erst Felix und mein Vater fühlen!

"Wir reden morgen...", begann mein Vater, blickte dann an mir vorbei aus dem Fenster und korrigierte sich:

"...später darüber", und war schon dabei, sich wieder zurückzuziehen. Und das war der Moment, als meine Gehirnzellen endlich wieder ihre Arbeit aufnahmen. So würde ich meinen Daddy jetzt sicher nicht nach oben gehen lassen! Über seinem Kopf schwebten regelrecht Fragezeichen, Felix stand neben mir und wusste scheinbar nicht, was er tun sollte und ich würde die Gelegenheit jetzt nutzen, um meinen Vater einzuweihen. Ganz einfach. Also nahm ich Felix' Hand in meine, damit hier überhaupt keine unnötigen Fragen aufkommen würden, und ich bemerkte, dass mich Felix überrascht ansah.

"Papa, du kennst ja Felix", hielt ich meinen Vater zurück.

Der blieb dann auch wirklich stehen und nickte meinem Freund zu.

"Hallo, Felix", sagte er ruhig, sah diesen nur kurz dabei an und heftete seinen Blick dann wieder auf mich. Man konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Kein Wunder.

"Hallo", begrüßte auch mein Freund meinen Vater.

"Wir wollten euch nicht wecken", entschuldigte ich mich bei meinem Vater. "Wir sind gerade nach Hause gekommen und wollten eigentlich gleich nach oben", erklärte ich noch überflüssigerweise. Denn das wir nicht nach oben gegangen waren, hatte mein Vater ja gesehen. Und dass wir nicht nur untätig hier im Flur gestanden waren ebenso. Himmel!

"Kein Problem", gab er sich gelassen. "Wir sind nur durch... Geräusche wach geworden und ich habe gesagt, ich schaue mal nach, was los ist. Man weiß ja nie, ob sich nicht doch ein Einbrecher Einlass zum Haus verschafft hat".

"Natürlich", sagte ich verkrampft. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie mich Felix ansah. Gespannt und abwartend war sein Blick.

"Dann gehe ich mal wieder nach oben und sage Mama, dass alles in Ordnung ist", sagte mein Vater. "Vielleicht kann ich ja noch mal eine Runde schlafen".

"Papa!", hielt ich ihn erneut auf. Und wieder sah mich mein Vater fragend an.

"Sag bitte nichts zu Mama, das möchte ich selbst tun, ja?", bat ich ihn.

Mein Vater nickte.

"Okay. Aber sage es ihr bitte bald, ich möchte nicht so ein Geheimnis vor ihr haben müssen. Klar?".

"Klar", gab ich zurück, und mein Vater sah mich noch mal an, dann Felix, dann wieder mich, als könne er immer noch nicht so recht glauben, was er hier sah und vorhin gesehen hatte. Doch dann drehte er sich um und ging die Treppe wieder nach oben.

 

Felix und ich waren noch ganz erstarrt, machten dann aber, dass wir in mein Zimmer kamen. In meinem Reich würden wir ungestört sein. Genau das, was wir jetzt nach diesem Schock brauchten.

Freitag Abend dann war Musikfest in Sunset Valley. Verschiedene Bands spielten, es gab Essens- und Getränkestände, und vor allem war die halbe Stadt unterwegs und man sah viele bekannte Leute. Natürlich gingen wir auch dort hin. Da Felix leider arbeiten musste, konnte er nicht dabei sein.

 

Da auch Volker erst einige Zeit später kommen konnte, hing ich also mit meiner Schwester zusammen herum. Schon bald lief uns unsere Klassenkameradin Moxie über den Weg, und auch Mama konnte ihre beste Freundin Susanne Clemens begrüßen. Die beiden kannten sich schon seit der Schulzeit.

Moxie und ich waren nie die besten Freundinnen gewesen, das würde sich wohl auch nicht mehr ändern. Wir hatten einfach keinen Draht zueinander gefunden, und auch jetzt verabschiedete sie sich nach ein paar belanglosen Worten schnell wieder.

"Herzlich wie immer", frotzelte Viola, als sie weg war.

"Jap", sagte ich. "Aber es sind ja nur noch ein paar Wochen. Das halten wir auch noch aus".

"Klar. Wollen wir was zu Essen kaufen? So langsam bekomme ich Hunger!", meinte Viola dann und ich stimmte dem sofort zu. Eine leckere Currywurst wäre jetzt genau das richtige für mich.

Nach dem Essen sahen wir uns dann die Bands an. Abseits der Bühnen spielten auch oft Einzelkünstler, und bei einer Bassspielerin blieben wir dann auch stehen. Auch Mama, Papa und Susanne waren hier.

 

Aber Gott, wie peinlich war das denn, als unsere Eltern dann plötzlich herum knutschten wie Teenys???

Es war schon spät, als wir wieder gingen. Irgendwann waren Mama, Viola und Volker schon ein gutes Stück vor meinem Vater und mir. Ob es von meinem Vater so geplant gewesen war, wusste ich natürlich nicht, aber er nutzte den Umstand, dass uns niemand hörte und sagte:

"Du hast Mama noch nichts von Felix gesagt, oder?".

"Nein, tut mir leid, das hatte sich leider gar nicht ergeben. Aber ich mache es, sobald es geht, versprochen!", fügte ich schnell an, und Papa nickte.

"Das ist auch gut so. Ich mag es einfach nicht, Geheimnisse vor deiner Mutter zu haben. Das musst du verstehen".

"Das verstehe ich", sagte ich.

"Wo war er heute eigentlich? Musste er arbeiten?", wollte mein Vater dann wissen.

"Ja, leider", antwortete ich und konnte nicht verhindern, dass mich eine leichte Traurigkeit streifte. Die auch nicht besser wurde, als ich weiter vorne Viola und Volker eng umschlungen gehen sah.

"Hätte er nicht noch nachkommen können, so wie Volker?", fragte er weiter und ich runzelte verwirrt die Stirn. Ich hatte das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen.

"Hätte es ihm gereicht, wäre er noch gekommen. Aber er muss ja nach der normalen Arbeit auch immer die Küche wieder auf Vordermann bringen. Das dauert eben, und außerdem war er danach bestimmt total kaputt". Mein Vater seufzte hörbar auf.

"Madeleine, Volker kam direkt von Sim City. Er hat dort den ganzen Tag im Obdachlosenheim geholfen, das war sicher auch anstrengend. Aber er ist hier, deiner Schwester geht es gut, während du traurig bist, weil es dein Freund anscheinend nicht geschafft hat, von seiner Arbeit, die er im gleichen Ort ausübt, noch kurz zum Fest zu kommen". Ich wusste es! Ich wusste, dass es das war, worauf mein Vater in dem Gespräch zusteuern wollte.

"Papa!", sagte ich. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?". Ich spürte, wie Wut in mir hochkroch.

"Doch, das ist es. Du bist meine Tochter, und ich möchte, dass es dir gut geht. Den Eindruck hatte ich heute nicht".

"Mir geht es ausgezeichnet", spie ich aus. "Klar, ich hätte Felix heute Abend gerne bei mir gehabt, aber dass das ausgerechnet du zu mir sagst, ist ja wirklich ein Ding! Mama und wir Kinder mussten oft tagelang auf dich verzichten, wenn du in Sim City oder sonst wo in Europa unterwegs warst", warf ich ihm vor, und jetzt war es mein Vater, der bleich wurde.

"Das... ist auch mir nicht leicht gefallen. Das kannst du mir glauben", stammelte er und ich seufzte auf.

"Das tue ich ja auch. Aber Felix wäre heute auch gerne mit uns bei dem Fest gewesen. Er hat mir ein paar mal per Whatsapp geschrieben, aber er musste eben arbeiten. So wie du eben auch schon oft, wenn hier was los war. Deshalb dachte ich eigentlich, dass du ihn von allen am besten verstehen kannst". Nun war es Papa, der tief aufseufzte.

"Ja, ich weiß, wie das ist, wenn einem der Beruf ständig ins Privatleben pfuscht", sagte er dann und war damit so offen wie noch nie mir gegenüber. Ich wusste, dass ihm sein Beruf großen Spaß machte, vielleicht hatte ich mir deshalb bisher kaum überlegt, wie es für ihn sein musste, ständig seine Familie so viele Kilometer hinter sich zu lassen, wenn er arbeiten ging. Und uns Kindern hatte der Papa natürlich schon immer wieder sehr gefehlt, aber Mama hatte versucht, diese Lücke zu füllen. Mein Vater hatte sich dann im Gegenzug ganz auf uns und die Familie konzentriert, wenn er da gewesen war. Jetzt, da ich einen Freund hatte, der oft bis spät abends und vor allem am Wochenende arbeiten musste und wir uns deshalb nicht so oft sehen konnten wie andere Paare, verstand ich das plötzlich. "Daher weiß ich natürlich auch, wie es Felix gehen muss", fuhr mein Vater fort. "Und was in dir vorgeht, kann ich natürlich auch erahnen, Mama und ich haben oft genug über diese Situationen reden müssen".

"Also", schloss ich dann, "und er macht jetzt eben seinen Job und kann deshalb nicht immer bei einem Fest dabei sein. Und nur, dass du es weißt: Er macht diesen Job verdammt gut". Nun kam das Lächeln langsam auf das Gesicht meines Vaters zurück.

"Weißt du, ich finde es ja wirklich beeindruckend, wie der Junge die Kurve bekommen hat", gab mein Daddy zu.

"Dann rechne ihm das bitte auch an, ja?", bat ich ihn und er nickte.

"Einverstanden", sagte er dann. "Nur eine Sache beschäftigt mich, seit ich weiß, dass du mit ihm zusammen bist und ich möchte, dass du mir ganz ehrlich antwortest: Hat er in letzter Zeit etwas Ungesetzliches getan oder nicht?".

"Das hat er nicht", sagte ich. "Schon lange nicht mehr. Und ich bin mir sicher, dass da auch in Zukunft nichts mehr kommen wird. Vertrau ihm bitte mal!".

"Okay", sagte mein Vater, sichtlich erleichtert. Dann lächelte er mich plötzlich an. "Mein Mädchen, ich möchte einfach nur, dass du glücklich bist". Ich spürte, dass er wieder lockerer wurde, und auch von mir fiel die Anspannung wieder ab.

"Ich bin glücklich", sagte ich deshalb.

"Ganz ehrlich?".

"Ja, Papa. Ganz ehrlich". Und weil ich das Gefühl hatte, dass er mir das immer noch nicht zu hundert Prozent glauben wollte, fügte ich hinzu:

"Er bedeutet mir alles, und ich wäre todunglücklich, wenn ich ihn nicht mehr hätte. Außerdem würde mein Glück getrübt werden, wenn ich wüsste, dass meine Eltern nicht hinter ihm stehen würden". Ich wartete gespannt auf seine Reaktion, doch er lächelte wieder, als er sagte:

"Ich verspreche dir, es zu versuchen. Wenn es Felix ist, den du willst, dann soll es wohl so sein".

"Okay. Ich werde dich daran erinnern, wenn du ihm blöd kommen solltest, ja?", stellte ich gleich klar, und nun lachte mein Vater auf.

"Ich werde mir Mühe geben. Ich will ja schließlich keinen Ärger mit dir haben. Viola würde sich dann sicher auch gleich hinter dich stellen, und mit zwei Töchtern, die auch noch Jiu Jitsu beherrschen, lege ich mich bestimmt nicht an!". Nun musste auch ich lachen, und der Damm war endgültig gebrochen. Nun musste ich nur noch meine Mutter überzeugen, dann würde alles gut werden.

Es war fünf Tage später, als ich meine Mutter allein beim Frühstück machen antraf.

"Morgen, Engel", sagte sie fröhlich, also war sie gut gelaunt. Der perfekte Zeitpunkt also. "Du kommst gerade rechtzeitig, das Frühstück ist fertig".

"Super, ich decke schon mal den Tisch", sagte ich. "Sind nur wir zwei hier?", fragte ich.

"Ja, nur wir zwei", antwortete meine Mutter. "Papa ist schon früh nach Sim City gefahren, Viola hat bei Volker übernachtet und Sven ist auf dem Weg zu Lara, sie wollen sich Fußböden anschauen gehen". Ja, an den Gedanken musste ich mich erst noch gewöhnen, dass Sven in naher Zukunft ausziehen würde. Unser Grafenanwesen in Simgard war nach dem großen Brand wieder aufgebaut worden und Sven würde dort einziehen. Einen kleinen Teil der Renovierungskosten hatten wir durch die Brandschutzversicherung bekommen. Der größere Teil jedoch war anders finanziert worden: Meine Eltern hatten sich dazu entschlossen, jetzt schon die Grundstücke unter uns drei Kindern aufzuteilen, dazu gab es schon einen Teil des Familienvermögens in Form von Bargeld und Geschäftsaktien, was sie uns als Schenkung zukommen lassen hatten. Das hieß: Sven hatte das Haus in Simgard bekommen und hatte von dem geschenkten Geld und seinen sowie Laras Ersparnissen das Haus renoviert, Viola gehörte nun das alte Haus von unserem Vater in Sim City, in dem Tante Tatjana lebte und ich - ja, ich hatte dieses Haus hier bekommen. Meine Eltern hatten hier im Haus lebenslanges Wohnrecht.

Wenn wir zwei alleine waren, war jetzt der perfekte Zeitpunkt, um Mama von Felix zu erzählen. Ich hatte es ja auch meinem Vater versprochen, dass ich das schnell machen würde. Er hatte mich in den letzten Tagen immer mal wieder mit dem Blick angesehen, der wohl sagen sollte: "Würdest du jetzt mal Mama Bescheid geben oder soll ich das doch selbst erledigen?". Ich hatte dann oft unbemerkt von Mama meinen Kopf geschüttelt oder ihm sonst ein Zeichen gegeben, dass ich es bald tun würde. Ich holte tief Luft. Wie begann man denn so ein Gespräch?

"Deine Pfannkuchen sind super!", sagte ich dann. Und seufzte auf. Feige Socke!

"Danke!", freute sich meine Mutter. Dann verfielen wir jedoch wieder in Schweigen, denn ich überlegte mir, welche Strategie wohl die Bessere wäre. Sofort mit der Tür ins Haus fallen, weil sie im Moment so gut drauf war? Oder doch eher zuerst um den heißen Brei herumreden, so dass sie schon von fast selbst darauf kommen würde?

"Du bist so nachdenklich, Engel. Ist alles in Ordnung?", nahm mir meine Mutter dann jedoch schnell die Entscheidung ab, wann ich mit dem Gespräch beginnen sollte.

"Es ist alles bestens", antwortete ich. "Es... Ich muss dir was sagen, Mama". Meine Mutter sah mich nun aufmerksam an. Auch wenn sie manchmal mit ihren Gedanken ganz woanders war, wenn ihr wieder die Idee für eine Geschichte im Kopf herumspukte, so war sie doch immer für uns da.

"Hast du was auf dem Herzen?", fragte sie mich. Herz war ein gutes Stichwort, wie ich fand.

"Na ja... ich...". Meine Mutter lachte auf.

"So habe ich dich ja noch nicht oft gesehen! Du sitzt hier vor mir und stotterst herum, als könntest du nicht bis drei zählen!".

"Ähm, ja", sagte ich etwas peinlich berührt. Warum fehlten einem immer in den wichtigen Momenten die richtigen Worte? Ich könnte wetten, dass ich eine halbe Stunde später den genauen Text im Kopf haben würde, den ich meiner Mutter in dieser Situation hier hätte sagen müssen. Aber jetzt? Worte und Sätze, die sich in meinen Hirnwindungen versteckt hatten. Wollten die mich ärgern? "Das ist nicht so leicht", gab ich zu.

Plötzlich lächelte meine Mutter.

"Geht es vielleicht um einen Mann?", fragte sie dann direkt und ich sah sie überrascht an. Sie lachte auf. "Wer dich kennt und in den letzten Tagen beobachtet hat, könnte durchaus auf diese Feststellung kommen", zwinkerte sie. Ach, was machte ich hier eigentlich vor? Natürlich sah man mir mein Glück an! Und meiner Familie da was vormachen zu wollen hatte ja schief gehen müssen.

"Du hast recht", sagte ich dann auch, und das Lächeln auf dem Gesicht meiner Mutter vertiefte sich.

"Das freut mich! Man sieht es dir an, Maddy! Ich hoffe, dass ich den Mann, der meine Tochter so glücklich macht, bald zu Gesicht bekomme und kennenlernen kann!", zwinkerte sie.

Kennenlernen war gut.

"Äh, Mama...", fing ich schon wieder zu stottern an. "Also... kennenlernen ist nicht nötig. Denn - du kennst ihn schon". Nun sah sie mich überrascht an.

"Ach, wirklich? Wer ist es denn?". Ach, komm schon, Maddy!, machte ich mir selbst Mut. Sag es einfach!

"Felix", sagte ich dann. "Ja, Felix Maler. Und ja, ich weiß was ich tue. Er bedeutet mir wahnsinnig viel und werde ihn mir sicher von niemandem wegnehmen lassen. Ich...".

"Maddy!", unterbrach meine Mutter meinen plötzlichen Redeschwall. "Kein Mensch wird dir Felix nehmen wollen! Gut, es ist etwas überraschend, dass ihr beide zusammengekommen seid, das gebe ich zu. Aber wie gesagt: Ich habe in den letzten Tagen gesehen, wie glücklich du bist. Was wäre ich für eine Mutter, dir dieses Glück nehmen zu wollen? Und was sollte ich denn gegen Felix haben?".

"Keine Ahnung!", lachte ich gelöst, froh, dass meine Mutter die Nachricht so gut aufgenommen hatte.

"Bring ihn doch mal her", bat sie dann. "Es wird Zeit, dass wir uns mal ganz in Ruhe mit ihm unterhalten können. Bisher liefen unsere Begegnungen ja doch eher kurz ab". Das stimmte sogar. Klar, sie hatten ihn manchmal gesehen, wenn er hier geklingelt hatte, um uns abzuholen oder sie hatten ihn kurz begrüßt, wenn wir uns hier getroffen hatten und sie sich über den Weg gelaufen waren. Aber meine Eltern hatten uns dann natürlich alleine gelassen und sich nicht penetrant zu uns gesetzt. Aber das war eben auch der Grund, weshalb sie sich noch nie ausführlich mit ihm hatten unterhalten können. Was sich jetzt wirklich mal ändern sollte.

"Das mache ich natürlich", stammelte ich aufgeregt.

"Vielleicht kannst du ihn ja auch mitnehmen, wenn wir das Essen mit Frau von Biskewitz haben. Du erinnerst dich doch noch?", fragte meine Mutter.

Ich seufzte auf. Och nö, nicht das Geschäftsessen mit dieser aufgetakelten Fregatte. Aber da ich meiner Mutter schon versprochen hatte, zu kommen, blieb mir kaum was anderes übrig.

"Wann ist das noch gleich?", hakte ich nach.

"Kommenden Samstag Abend. Deine Schwester geht auch mit, was mich schon sehr verwundert hat".

"Mama, ich glaube kaum, dass ich Felix zu dem Essen mitnehmen werde. Abgesehen davon, dass er wahrscheinlich eh arbeiten muss, kann die Biskewitz wirklich nerven, das möchte ich ihm dann doch ersparen", sagte ich. Meine Mutter schmunzelte.

"Lass sie das am Samstag aber ja nicht spüren, hörst du? Das ist eine potentielle Kundin, vergiss das nicht!". Wie könnte ich das vergessen!

 

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